Tz. 12

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

§ 76 Abs. 2 FGO überträgt dem Vorsitzenden ausdrücklich eine allgemeine Fürsorgepflicht gegenüber den Prozessbeteiligten. Er hat dafür Sorge zu tragen, dass auch Beteiligte, die in der Prozessführung weniger geübt und erfahren sind, nicht an "Fallstricken" des formellen Rechts scheitern oder durch sie Nachteile erleiden. Deshalb hat er darauf hinzuwirken, dass (heilbare) Formfehler beseitigt, sachdienliche Anträge gestellt – und zwar nicht etwa nur hinsichtlich des Verfahrensganges, sondern auch hinsichtlich des mit der Klage verfolgten Zieles –, unklare Anträge verdeutlicht, ungenügende tatsächliche Angaben vervollständigt und auch allgemein die für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden. Die Bedeutung dieser richterlichen Pflicht wird durch § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO noch aufgehellt, wonach das Gericht bei seiner Entscheidung nicht über das Klagebegehren hinausgehen, also dem Kläger in der Sache nicht mehr zusprechen darf als er selbst beantragt; Näheres s. § 96 FGO Rz. 14. § 76 Abs. 2 FGO begründet keine umfassende Hinweispflicht. § 76 Abs. 2 FGO verpflichtet das FG daher grds. nicht, vor seiner Entscheidungsfindung seine Rechtsansicht mündlich oder schriftlich mitzuteilen bzw. die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte und Rechtsfragen im Voraus anzudeuten oder sogar umfassend zu erörtern (BFH v. 14.05.2014, VII B 117/13, juris) oder auch nur vorab auf seine Einschätzung der Sachlage und Rechtslage hinzuweisen (BFH v. 05.03.2013, X B 179/11, BFH/NV 2013, 926; vgl. auch BFH v. 18.11.2013, X B 237/12, BFH/NV 2014, 369; BFH v. 05.12.2013, XI B 1/13, BFH/NV 2014, 547). Vielmehr stehen der Umfang und die Intensität der Fürsorgepflicht in Wechselbeziehung zur fachlichen Qualifikation des Klägers bzw. seines Prozessbevollmächtigten (vgl. BFH v. 17.03.2010, X B 120/09, BFH/NV 2010, 1240; BFH v. 04.05.2010 X B 16/10, BFH/NV 2010, 1643). Eine Hinweispflicht besteht insbes. nur dann, wenn das FG auf einen Gesichtspunkt abstellen will, mit dessen Berücksichtigung ein Beteiligter schlechterdings nicht rechnen konnte. Dementsprechend ist bei einem rechtskundig vertretenen Beteiligten ein richterlicher Hinweis auf die fehlende Erfolgsaussicht des Begehrens des Beteiligten regelmäßig jedenfalls dann entbehrlich, wenn hierauf bereits der Prozessgegner hingewiesen hat (BFH v. 02.04.2014, XI B 2/14, BFH/NV 2014, 1049; vgl. auch BFH v. 08.01.2014, X B 245/12, BFH/NV 2014, 564; BFH v. 27.01.2014, III B 86/13, BFH/NV 2014, 703). Die dem Vorsitzenden auferlegte Fürsorgepflicht gilt gem. § 121 FGO im Revisionsverfahren sinngemäß. Sie hat dort jedoch einen anderen Inhalt als im Klageverfahren, z. B. weil gem. § 65 Abs. 1 FGO die Klage lediglich einen bestimmten Antrag enthalten "soll", während nach § 120 FGO mit der Revision bzw. deren Begründung fristgebunden ein solcher gestellt werden muss (BFH v. 14.12.1977, II R 75/72, BStBl II 1978, 196).

 

Tz. 13

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Finanzbehörde hat im Gegensatz zum außergerichtlichen Vorverfahren im steuergerichtlichen Verfahren keinen Einfluss mehr auf die Bestimmung des Streitgegenstands. Sie kann lediglich die Angriffe des Klägers gegen den Verwaltungsakt abwehren. Es bleibt ihr überlassen und ist insoweit prozessual unwesentlich, ob sie umfangreiche Sach- und Rechtsausführungen macht und welche Anträge sie stellt oder ob sie sich überhaupt nicht gegen die Ausführungen des Klägers wendet. Selbst ein völliges Schweigen der Finanzbehörde ist nicht als Anerkenntnis mit der Folge zu werten, dass der Klage vom FG stattzugeben ist (BFH v. 15.11.1971, GrS 7/70, BStBl II 1972, 120). Entsprechend § 96 Abs. 1 FGO wird das FG zwar u. U. aus dem Schweigen oder der Einlassung der Finanzbehörde Folgerungen ziehen, die Ausführungen der Finanzbehörde bzw. ihr Schweigen entbinden das FG jedoch nicht von der Verpflichtung zur Prüfung der Sach- und Rechtslage von Amts wegen (s. Rz. 7). Die Ausführungen der Finanzbehörde zur Sache und ihre Anträge haben, selbst wenn sie auf Klageabweisung gerichtet sind, lediglich die Bedeutung einer Anregung an das FG, bei der Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts auf diesen oder jenen Gesichtspunkt besonderen Wert zu legen (BFH v. 15.11.1971, GrS 7/70, BStBl II 1972, 120).

Dieser Inhalt ist unter anderem im Kühn, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung (Schäffer-Poeschel) enthalten. Sie wollen mehr?


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