Tz. 21
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Rechtsfolgen des Ablaufs der Festsetzungsfrist ergeben sich aus deren Rechtsnatur als Erlöschensgrund. Sie wirken formell- (§ 169 Abs. 1 Satz 1 und 2 AO) und materiellrechtlich (§ 47 AO). Der Ablauf der Festsetzungsfrist ist von Amts wegen zu beachten (BFH v. 07.02.2002, VII R 33/01, BStBl II 2002, 447). Im Fall der Gesamtschuldnerschaft (§ 44 Abs. 1 AO) läuft gegen jeden Gesamtschuldner eine gesonderte Festsetzungsfrist (vgl. § 44 Abs. 2 Satz 3 AO). Daher ist im Falle der Zusammenveranlagung von Ehegatten die Frage, ob Festsetzungsverjährung eingetreten ist, für jeden Ehegatten gesondert zu prüfen (BFH v. 25.04.2006, X R 42/05, BStBl II 2007, 220; BFH v. 17.11.2015, VIII R 68/13, BStBl II 2016, 571). Nach Ablauf der Festsetzungsfrist kann keine Steuer mehr festgesetzt werden. Die Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung ist nur zulässig, wenn insoweit eine Ablaufhemmung gilt. Ein unter Nichtbeachtung des Eintritts der Festsetzungsverjährung erlassener Verwaltungsakt ist nicht nichtig, sondern rechtswidrig und auf einen Rechtsbehelf hin aufzuheben (BFH v. 06.05.1994, V B 28/94, BFH/NV 1995, 275, Drüen in Tipke/Kruse, § 169 AO Rz. 38; Rüsken in Klein, § 169 AO Rz. 46; AEAO Vor §§ 169 bis 171, Nr. 4).
Tz. 22
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 169 Abs. 1 Satz 2 AO stellt klar, dass auch die Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten (§ 129 AO) nach dem Ablauf der Festsetzungsfrist nicht mehr möglich ist, es sei denn, es greift die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 2 AO.
Tz. 23
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Die Wirkung des Ablaufes der Festsetzungsfrist hat zur Folge, dass auch ein nach dem Ablauf gestellter Antrag auf Festsetzung, Aufhebung oder Änderung einer Festsetzung oder Berichtigung einer offenbaren Unrichtigkeit seitens des Stpfl. keinen Erfolg mehr haben kann (BFH v. 14.05.2003, X R 60/01, BFH/NV 2003, 1144); die Wiedereinsetzung in die Festsetzungsfrist ist ebenfalls nicht möglich (BFH v. 24.01.2008, VII R 3/07, BStBl II 2008, 462). Wegen der durch die Stellung eines entsprechenden Antrags eintretenden Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist s. § 171 Abs. 3 AO und § 171 Abs. 3a AO.
Tz. 24
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Besonderheiten ergeben sich bei Feststellungsbescheiden. Nach § 181 Abs. 5 AO kann trotz Ablaufs der Feststellungsfrist eine gesonderte Feststellung insoweit erfolgen, als diese für eine Steuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist (s. § 181 AO Rz. 14). Weitere Besonderheiten ergeben sich für GrSt-Messbetragsbescheide aus § 16 Abs. 3, § 17 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und § 18 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 GrStG. Bei widerstreitenden Steuerfestsetzungen können auch nach Ablauf der Festsetzungsfrist Steuerbescheide erlassen, geändert oder aufgehoben werden (§ 174 Abs. 1 Satz 2 AO und § 174 Abs. 4 Satz 3 AO).
Tz. 25
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Die Festsetzungsverjährung steht einer Änderung eines bestandskräftigen und festsetzungsverjährten Steuerbescheids grds. auch dann entgegen, wenn er wegen Verstoßes gegen EU-Recht rechtswidrig ist. Denn die Frage nach der Änderbarkeit richtet sich grundsätzlich nach nationalem Recht (EuGH v. 13.01.2004, C-453/00, HFR 2004, 488 "Kühne & Heitz"; von Wedelstädt in Bartone/von Wedelstädt, Rz. 15; s. Vor §§ 172–177 AO Rz. 18 ff.; BFH v. 21.03.1996, XI R 36/95, BStBl II 1996, 399; BFH v. 23.11.2006, V R 51/05, BStBl II 2007, 433). Für unionsrechtswidrige Steuerbescheide ist keine andere Behandlung geboten als für nach nationalem Recht rechtswidrige Bescheide (BFH v. 16.09.2010, V R 57/09, BStBl II 2011, 151 m. w. N.). Ausnahmsweise ist eine Änderung trotz Verfristung zulässig, wenn die entsprechende Richtlinie nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt worden ist und die Geltendmachung des Anspruchs durch das Verhalten der Behörde versperrt war, die Behörde sich mithin unter Verstoß gegen Treu und Glauben auf die Einhaltung der Frist beruft (sog. "Emmottsche Fristenhemmung"; BFH v. 21.03.1996, XI R 36/95, BStBl II 1996, 399; BFH v. 16.09.2010, V R 57/09, BStBl II 2011, 151 m. w. N.; BFH v. 18.08.2015, VII R 5/14, BFH/NV 2016, 74).
Tz. 25a
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Steht fest, dass für einen Veranlagungszeitraum Festsetzungsverjährung eingetreten ist, so ist der Erlass einer Prüfungsanordnung (196 AO) unverhältnismäßig und deshalb ermessensfehlerhaft, da die Prüfungsergebnisse im Hinblick auf § 169 Abs. 1 Satz 1 AO nicht mehr umgesetzt werden könnten. Dient die Außenprüfung aber dazu, überhaupt erst zu ermitteln, ob Festsetzungsverjährung – ggf. auch nach Ablauf der nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO verlängerten Festsetzungsfrist – eingetreten ist, ist der Erlass einer Prüfungsanordnung ohne Weiteres rechtmäßig (vgl. z. B. BFH v. 10.04.2003, IV R 30/01, BStBl II 2003, 827; BFH v. 03.03.2006, IV B 39/04, BFH/NV 2006, 1250; BFH v. 12.06.2006, XI B 122/05, BFH/NV 2006, 1789).