I. Rechtliches Gehör und Begründungserfordernis
Tz. 56
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Im Rahmen der Schätzung ist dem Stpfl. rechtliches Gehör zu gewähren (§ 91 AO). Ihm sind i. d. R. die Tatsachen, auf die die Schätzung gestützt wird und die ihm nicht bekannt sind wie z. B. auch ein Wechsel der Schätzungsmethode, vor Durchführung der Schätzung bekannt zu geben, damit er sich dazu äußern kann (BFH v. 02.02.1982, VIII R 65/80, BStBl II 1982, 409). Wird der Stpfl., der keine Steuererklärung abgegeben hat, zur Abgabe der Steuererklärung aufgefordert, ist eine zusätzliche Anhörung regelmäßig nicht erforderlich, weil er durch die Aufforderung hinreichend Gelegenheit zur Stellungnahme erhält (Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 94 m. w. N.). Ergebnisse von Vergleichsbetrieben, die der Schätzung zugrunde gelegt werden, sind dem Stpfl. zur Stellungnahme bekannt zu geben; dies muss aber in einer Weise geschehen, dass das Steuergeheimnis gewahrt bleibt (Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 95 m. w. N.).
Tz. 57
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Der Schätzungsbescheid ist zu begründen (§ 121 AO). Dies erfordert bei einer wegen unterlassener Abgabe einer Steuererklärung durchgeführten Schätzung grundsätzlich keine über die Wertangaben hinausgehende Begründung der geschätzten Besteuerungsgrundlagen (BFH v. 11.02.1999, V R 40/98, BStBl II 1999, 382 m. w. N.). Ein Schätzungsbescheid aus anderen Gründen als der Nichtabgabe der Steuererklärung ist auch der Höhe nach zu begründen, wenn das FA ohne ersichtlichen Grund in erheblichem Maße von den Angaben des Stpfl. abweicht (BFH v. 11.02.1999, V R 40/98, BStBl II 1999, 382 m. w. N.). Im Falle einer Nachkalkulation ist deren rechnerisches Ergebnis offenzulegen und auf Verlangen auch die Ermittlungen, die zu diesem Ergebnis geführt haben, bekannt zu geben sind (BFH v. 17.11.1981, VIII R 174/77, BStBl II 1982, 430). Vermögenszuwachsrechnungen sind so zu gestalten, dass der Grundgedanke dieser Schätzungsmethode erkennbar bleibt (BFH v. 08.11.1989, X R 178/87, BStBl II 1990, 268). Zur Schätzung bei Schenkungsteuerbescheiden s. BFH v. 30.08.2017, II R 46/15, BFH/NV 2018, 125.
Tz. 58
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Rechtliches Gehör und Begründung können bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz des finanzgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden (§ 126 Abs. 2 AO). Die Aufhebung eines Schätzungsbescheids, der nicht nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil die erforderliche Begründung fehlt und auch in der Einspruchsentscheidung nicht nachgeholt wurde (BFH v. 11.02.1999, V R 40/98, BStBl II 1999, 382).
Tz. 59
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Da auch bei Schätzungsbescheiden § 127 AO anwendbar ist (h. M.: BFH v. 11.02.1999, V R 40/98, BStBl II 1999, 382 m. w. N.; von Wedelstädt in Gosch, § 127 AO Rz. 19 m. w. N.), kann ihre Aufhebung, sofern sie nicht nichtig sind, wegen fehlender Begründung nicht verlangt werden.
II. Vorbehalt der Nachprüfung
Tz. 60
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Schätzungsbescheide wegen Nichtabgabe der Steuererklärung sind unter Nachprüfungsvorbehalt zu erlassen, wenn der Fall für eine eventuelle spätere Überprüfung offengehalten werden soll, z. B. wenn eine den Schätzungszeitraum umfassende Außenprüfung vorgesehen ist oder zu erwarten ist, dass der Stpfl. nach Erlass des Bescheids die Steuererklärung nachreicht (AEAO zu § 162, Nr. 4 Abs. 1; s. auch § 164 AO Rz. 6). Zum weiteren Verfahren in diesen Fällen wird auf AEAO zu § 162, Nr. 4 Abs. 2 verwiesen. Über diese Selbstbindung hinaus besteht keine Pflicht des FA, den Schätzungsbescheid unter Vorbehalt der Nachprüfung zu stellen (Oellerichin Gosch, § 162 AO Rz. 171 m. w. N.; a. A. Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 101).
III. Rechtswidrigkeit und Nichtigkeit der Schätzung
1. Anfechtbarkeit bei Rechtswidrigkeit
Tz. 61
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Schätzungen nach § 162 AO sind nicht schon deswegen rechtswidrig, weil sie von den tatsächlichen Verhältnissen abweichen. Abweichungen sind im Rahmen einer Schätzung i. d. R. immanent. Der Schätzungsbescheid ist rechtswidrig, wenn die Schätzung den durch die Umstände des Einzelfalles gezogenen Schätzungsrahmen verlässt (BFH v. 28.07.2015, VIII R 2/09, BStBl II 2016, 447). Daraus folgt aber regelmäßig lediglich die Anfechtbarkeit der Schätzungsveranlagung, nicht aber ihre Nichtigkeit. Das gilt auch bei groben Schätzungsfehlern, die auf einer Verkennung der tatsächlichen Gegebenheiten oder der wirtschaftlichen Zusammenhänge beruhen (BFH v. 20.12.2000, I R 50/00, BStBl II 2001, 381; s. § 125 AO Rz. 4), bei einer Mehrzahl von groben Schätzungsfehlern (BFH v. 01.10.1992, IV R 34/90, BStBl II 1993, 259), bei weit überhöhtem Schätzungsergebnis (FG Köln v. 18.09.1996, 12 K 780/96, EFG 1997, 382).
2. Nichtigkeit
Tz. 62
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Schriftliche Steuerbescheide müssen inhaltlich hinreichend bestimmt sein, anderenfalls sind sie nichtig; das erfordert u.a. die Bezeichnung der festgesetzten Steuer nach Art und Betrag (§ 157 Abs. 1 AO). Zur Schätzung mehrerer Einzelzuwendungen zusammengefasst in einem Schenkungsteuerbescheid s. BFH v. 30.08.2017, II R 46/15, BFH/NV 2018, 125. Grobe Schätzungsfehler bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlage...