I. Allgemeines
Tz. 14
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Fehlerhaftigkeit einer Prüfungsanordnung wirft die Frage des Verwertungsverbots der daraus erlangten Erkenntnisse auf. Das Institut des Verwertungsverbots als Verbot, auf rechtswidrige Weise erlangte Tatsachenkenntnisse oder Ergebnisse von Beweiserhebung zu verwerten, ist mangels steuergesetzlicher Regelung durch die Rspr. entwickelt worden, und zwar als sog. formelles Verwertungsverbot (BFH v. 25.11.1997, VIII R 4/94, BStBl II 1998, 461). Das bedeutet, dass ein für ein Verwertungsverbot materiellrechtlich relevanter Ermittlungsfehler nur dann verfahrensrechtlich zum Verwertungsverbot führt, wenn dem nicht bestandskräftige Steuerverwaltungsakte entgegenstehen. Die Ermittlungsfehler können unterschiedlicher Art sein und sind nicht auf das Außenprüfungsverfahren, z. B. auf fehlerhafte Prüfungsanordnungen beschränkt, sondern können sich in jedem Stadium von Ermittlungen ereignen.
II. Materielle Voraussetzungen
1. Art der Ermittlungsfehler
Tz. 15
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Zu einem Verwertungsverbot führen nur solche Fehler, die besonders schwerwiegende Rechtsverletzungen des FA bei der Sachverhaltsermittlung darstellen (zu den formellen Voraussetzungen s. Rz. 23 ff.). Dazu zählen Verstöße gegen den verfassungsrechtlich geschützten Bereich des Stpfl. (sog. qualifiziertes materiell-rechtliches Verwertungsverbot; BFH v. 04.10.2006, VIII R 53/04, BStBl II 2007, 227 m. w. N.), die Verletzungen von Vorschriften, die den Stpfl. in seiner Willensentschließung und Willensbetätigung schützen sollen, sowie besonders schwerwiegende Verfahrensverstöße (von Wedelstädt, AO-StB 2001, 19, 20 m. w. N.). Derartige Verstöße sind geeignet, das Ermittlungsergebnis maßgeblich dahingehend zu beeinflussen, dass es ohne eine solche Verletzung gar nicht erlangt oder anders ausgefallen sein könnte. Insoweit sind Parallelen zur Vorschrift des § 136a StPO zu sehen. Hier handelt es sich regelmäßig um Prüfungshandlungen des FA, die es auch bei ordnungsgemäßer Einhaltung der Verfahrensordnung, also legal nicht hätte vornehmen können. Diese Fehler führen auch bei erstmaliger Steuerfestsetzung sowie bei Steuerfestsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung zu einem Verwertungsverbot (s. Rz. 21).
Tz. 16
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Besonders schwerwiegende Verletzungen von Schutzvorschriften liegen vor, wenn
- die rechtlichen Voraussetzungen der §§ 193 und 194 AO nicht vorliegen, z. B. bei einer ermessenswidrigen Prüfung nach § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO (FG He v. 29.10.1987, IV 380/81, EFG 1988, 215; aber s. Rz. 17),
- der Prüfungszeitraum ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 BpO erweitert wird,
- eine Aussage erlangt wird, ohne dass über das Auskunftsverweigerungsrecht belehrt worden ist, soweit eine Belehrung vorgeschrieben ist (s. § 194 AO Rz. 19 im Zusammenhang mit der Fertigung von Kontrollmitteilungen; Übersicht bei von Wedelstädt, DB 2000, 1356, 1359 m. w. N.). Dies gilt für § 101 AO (BFH v. 31.10.1990, II R 180/87, BStBl II 1991, 204; AEAO zu § 101, Nr. 2, s. § 101 AO Rz. 8). Die Unterlassung der Belehrung im Falle des § 103 AO führt dagegen nicht zu einem steuerrechtlichen Verwertungsverbot (h. M.: u. a. Söhn in HHSp, § 88 AO Rz. 317 m. w. N.; Schuster in HHSp, § 103 AO Rz. 25 m. w. N.; § von Wedelstädt, AO-StB 2005, 13, 16 m. w. N.; Klingelhöfer, StBp 2002, 1, 4 f.; a. A. Seer in Tipke/Kruse, § 103 AO Rz. 13; Schindler in Gosch, § 103 AO Rz. 19; Gosch in Gosch, § 194 AO Rz. 247; Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 194 AO Rz. 50). Im Falle des § 102 AO ist keine Belehrung vorgesehen, weil davon ausgegangen werden kann, dass ihnen ihr Auskunftsverweigerungsrecht bekannt ist. Konsequenterweise bedeutet das, dass eine Person i. S. des § 102 AO, die auf Befragen Auskunft gibt, incidenter auf ihr Auskunftsverweigerungsrecht verzichtet (Söhn in HHSp, § 88 AO Rz. 316; Schuster in HHSp, § 102 AO Rz. 62); Seer (in Tipke/Kruse, § 102 AO Rz. 22) nimmt ein Verwertungsverbot für den Fall an, dass ohne Entbindung von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit ausgesagt wird; dem kann m. E. nicht gefolgt werden, weil es nicht Sache des Steuerrechts ist, Pflichten zu schützen, die im Verhältnis zwischen Angehörigen bestimmter Berufe und deren Mandanten bestehen,
- unerlaubt Unterlagen weggenommen werden,
- die Erkenntnisse dem Brief-, Post- oder Fernmeldegeheimnis unterliegen, zu denen auch Erkenntnisse aus einer Telefonüberwachung gehören, soweit sie nicht rechtmäßig im Rahmen eigener strafrechtlicher Ermittlung gewonnen wurden oder nach den Vorschriften der StPO den Finanzbehörden keine Auskunft erteilt werden darf. In Fällen, in denen die Erkenntnisse aus einer nach §§ 100a, 100b StPO angeordneten eigenen Telekommunikationsüberwachung gewonnen werden oder hinsichtlich deren nach den Vorschriften der StPO Auskunft an die Finanzbehörden erteilt werden darf, ist ihre Verwertung nach § 393 Abs. 3 Satz 2 AO zulässig (BFH v. 24.04.2013, VII B 202/12, BStBl II 2013, 987; Friedenhagen, AO-StB 2013, 289; s. § 393 AO Rz. 11 ff.),
- die angemessene Frist nach § 197 AO für die schriftlic...