I. Zweck und Verfassungsmäßigkeit des § 147 Abs. 6 AO
Tz. 21
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Während die Ordnungsvorschriften der AO im Grundsatz von einer papiergebundenen Buchführung ausgehen (Schaumburg, DStR 2002, 829) – ohne diese vorzuschreiben –, setzt § 147 Abs. 6 AO eine datenverarbeitungsgestützte Buchführung voraus und schafft neue Zugriffsformen zugunsten der Finanzverwaltung für digitale Unterlagen. Durch diese sollen gerade angesichts des Buchführungsumfangs bei Konzernen und Großbetrieben "rationellere und zeitnähere Außenprüfungen" (BMF v. 16.07.2001, IV D 2 – S 0316–136/01, BStBl I 2001, 415) und damit eine effiziente Prüfung der steuerlichen Verhältnisse ermöglicht werden, wenn nicht sogar durch § 147 Abs. 6 AO eine Überprüfbarkeit papierloser Buchführungswerke überhaupt sichergestellt werden sollte (so BT-Drs. v. 27.09.1999, 14/1655, 20).
Tz. 22
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Die Einführung des § 147 Abs. 6 AO war verfassungsrechtlich noch nicht geboten (so aber wohl Burchert, INF 2001, 230, 234); gleichwohl sichert er eine gleichheitssatzkonforme Besteuerung. Dass die Norm ihrerseits verfassungsrechtlich unbedenklich ist, wird von Teilen der Literatur sowohl aus datenschutzrechtlichen Gründen als auch mit Hinweis auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bezweifelt (s. nur Kerssenbrock/Riedel/Strunk, DB 2002, Beilage 9). Demgegenüber hält die h. M. die Vorschrift zumindest bei strenger Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall für verfassungsgemäß (umfassend Drüen, StuW 2003, 205; Schmitz, StBp 2002, 189, 191). Auch die Rechtsprechung hält § 147 Abs. 6 für verfassungsgemäß (FG RP v. 13.06.2006, 1 K 1743/05, EFG 2006, 1634; BFH v. 16.12.2014, VIII R 52/12, BFH/NV 2015, 2145).
II. Sachlicher, persönlicher und zeitlicher Anwendungsbereich
Tz. 23
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§ 147 Abs. 6 AO gewährt ein Datenzugriffsrecht der Finanzverwaltung nur im Rahmen von Außenprüfungen, wozu auch Umsatzsteuer- und Lohnsteuersonderprüfungen gehören, nicht aber die betriebsnahe Veranlagung oder die Nachschau (s. § 210 AO, insbes. i. V. m. § 146b AO oder § 27b UStG). Auch der Steuerfahndung stehen die Rechte aus § 147 Abs. 6 AO zu (§§ 208 Abs. 1 Satz 3, 200 Abs. 1 Satz 2 AO).
Tz. 24
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Der Datenzugriff ist im Umfang beschränkt auf sämtliche nach § 147 Abs. 1 AO aufbewahrungspflichtigen Unterlagen (s. BFH v. 24.06.2009, VIII R 80/06, BFH/NV 2009, 1857; FG RP v. 13.06.2006, 1 K 1743/05, EFG 2006, 1634), d. h. Daten und Dateien (BFH v. 16.12.2014, X R 42/13, BStBl II 2015, 519). Erfasst werden also insbes. die Finanz-, Lohn- und Anlagebuchhaltung. Doch auch auf die nach § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO aufbewahrungspflichtigen sonstigen Unterlagen erstreckt sich das Zugriffsrecht, weshalb auch auf andere Daten zugegriffen werden kann, soweit sie von steuerlicher Bedeutung sind. Zum Umfang des Zugriffsrechts auf die Kostenstellenrechnung vgl. FG RP v. 13.06.2006, 1 K 1743/05, EFG 2006, 1634 mit Anm. Kuhfus. Auf die übrigen Daten darf die Finanzbehörde nicht zugreifen. Dabei ist es Sache des Stpfl., seine Datenbestände so zu organisieren, dass bei einer zulässigen digitalen Prüfung der steuerlich relevanten Datenbestände keine geschützten (§§ 30a, 102 AO) oder steuerlich nicht relevanten Informationen offenbart werden (BFH v. 26.09.2007, I B 53, 54/07 BStBl II 2008, 415; s. FG RP v. 20.01.2005, 4 K 2167/04, EFG 2005, 667 mit Anm. Trossen; s. FG Ddorf v. 05.02.2007, 16 V 3454/06, EFG 2007, 892; FG Nürnberg v. 30.07.2009, 6 K 1286/08, EFG 2009, 1991 mit Anm. Matthes, zu Berufsgeheimnisträgern). Zu E-Mail- und Textdateien s. BMF v. 16.07.2001, IV D 2 – S 0316–136/01, BStBl I 2001, 415 unter III.1. Bewahrt der Stpfl. Unterlagen freiwillig auf, ist ein Datenzugriff unzulässig, ein Zugriff auf Unterlagen in Papierform bleibt dagegen nach § 200 Abs. 1 Satz 2 AO möglich (BFH v. 24.06.2009, VIII R 80/06, BStBl II 2010, 452). Ein Zugriffsrecht der Finanzbehörde besteht nicht, soweit ein Auskunftsverweigerungsrecht (§ 102 AO) des Stpfl. besteht; auch ist der Stpfl. insoweit nicht zur Mitwirkung (§ 200 Abs. 1 Satz 2 AO) verpflichtet (vgl. zu § 147 Abs. 6 AO aber FG Nbg v. 30.07.2009, 6 K 1286/2008, EFG 2009, 1991 mit Anm. Matthes).
Tz. 25
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Da § 147 Abs. 6 AO nur eingreift, soweit eine Buchführungs- oder Aufzeichnungspflicht besteht, werden Stpfl., die Einkünfte aus § 18 EStG erzielen, nur erfasst, soweit sie ihre Aufzeichnungspflichten mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems erfüllen (Akzessorietät der Aufbewahrungspflichten, s. Rz. 1). Freiwillig geführte Bücher und Aufzeichnungen unterliegen keiner Aufbewahrungspflicht, wenn der Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt wird (BFH v. 24.06.2009, VIII R 80/0, BFH/NV 2009, 1857 mit Anm. Klingebiel, NWB 2009, 4083). Werden bei der Ermittlung durch Bestandsvergleich freiwillig oder aus berufsrechtlichen Gründen weitergehende Aufzeichnungen geführt, als für einen Einzelhändler nach ständiger Rechtsprechung erforderlich, ist er zu deren Herausgabe verpflichtet (FG SAnh v. 23.05.2013, 1 K 396/12, DStRE 2014, 230; a. A. FG Münst...