Karl Blesinger, Dr. Andreas Viertelhausen
Tz. 36
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Zu der Ermittlung und Feststellung des gegebenen Sachverhalts und der Anwendung der einschlägigen Steuerrechtsnormen auf diesen Sachverhalt tritt ein weiteres Element hinzu. Aufgrund der Umstände des Einzelfalls muss geprüft werden, ob eine Vertragsgestaltung oder ein Rechtsgeschäft die den wirtschaftlichen Verhältnissen angemessene Gestaltung darstellt. Ist das nicht der Fall, muss festgestellt werden, welchen Sachverhalt das Umgehungsgeschäft verdeckte. Dieser Sachverhalt ist dann im Wege der Tatsachenfiktion der Anwendung des Steuergesetzes zugrunde zu legen ist.
Tz. 37
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Für die Sachverhaltsermittlung gelten zunächst die allgemeinen Verfahrensvorschriften der AO. Nach dem Untersuchungsgrundsatz (s. § 88 AO) hat das FA den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Die Behörde trägt die objektive Beweislast für die Umstände, aus denen sich die Annahme einer unangemessenen rechtlichen Gestaltung rechtfertigt. Der Stpfl. muss allerdings in seinen (Steuer-) Erklärungen den relevanten Sachverhalt vollständig und richtig darstellen. Er ist nicht berechtigt Umstände zu verschweigen, aus denen sich möglicherweise die Rechtsfolge des Gestaltungsmissbrauchs ergibt (zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Gestaltungsmissbrauch eine Steuerhinterziehung darstellt, s. § 370 AO Rz. 11). Steht fest, dass sich der Stpfl. einer ungewöhnlichen Gestaltung bedient hat, hat er seinerseits nachzuweisen, dass für die von ihm gewählte Gestaltung beachtliche außersteuerliche Gründe vorliegen (BR-Drs. 544/07, 106). Insoweit soll den Stpfl. auch eine erhöhte Mitwirkungspflicht – ähnlich § 90 Abs. 2 AO – treffen (BR-Drs. 544/07, 106). Aus der Regelung des § 42 Abs. 2 Satz 2 AO folgt insoweit eine Beweislastumkehr (kritisch dazu: Crezelius, DB 2007, 1428, 1430; Brockmeyer, DStR 2007, 1325; Lichtinghagen/Verpoorten, StuB 2007, 734, 736). Ein Vergleich des § 42 Abs. 2 Satz 2 AO mit der Regelung des § 90 Abs. 2 AO zeigt aber, dass von einer Beweisvorsorge- oder Beweismittelbeschaffungspflicht nicht die Rede sein kann. Es bleibt auch beim Amtsermittlungsgrundsatz des § 88 AO, d. h. das FA hat erreichbare und geeignete Beweismittel von Amts wegen zu nutzen. Nur im dem Fall, dass das Bestehen außersteuerlicher Gestaltungsgründe nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden kann, trägt der Stpfl. den Nachteil der Nichterweisbarkeit (objektive Beweislast; Mack/Wollweber, DStR 2008, 182, 185). Insoweit obliegt es insbes. den rechtsberatenden Berufen bei der Gestaltung der Verhältnisse des Mandanten eine Sensibilität für das zu entwickeln, was sich als unangemessen darstellen zu könnte, um für eine sachverhalts- und zeitnahe Dokumentation der außersteuerlichen Motivation zu sorgen.