Katharina Wagner, Dr. Klaus J. Wagner
Tz. 8
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Bei der Beweiswürdigung sind die allgemeinen Denkgesetze, die anerkannten Regeln und Maßstäbe für die Beurteilung und Wertung tatsächlicher Verhältnisse und die Erkenntnismöglichkeiten zu beachten, die sich aus der Erfahrung des Lebens ergeben. Verstöße hiergegen machen die Tatsachenfeststellung fehlerhaft und stellen sich als Rechtsverletzung dar. Die sog. freie Überzeugung, zu der das Gericht gelangen soll, ist keine bindungslose; sie erlaubt nicht, aus Tatsachen Folgerungen zu ziehen, die allgemeinen Erfahrungssätzen widersprechen (Verdacht begründet noch keine Tatsache), wohl aber, allgemeine Erfahrungen zu berücksichtigen und gerichtsbekannte Tatsachen als wahr zu unterstellen oder aus einer Auskunftsverweigerung, die nach den Umständen naheliegenden Schlüsse zu ziehen. Anerkannte Natur- und Denkgesetze (anerkannte Sätze der Logik) sind zu beachten (BFH v. 25.05.1998, I R 225/82, BStBl II 1988, 944; BFH v. 29.02.2008, IV B 21/07, BFH/NV 2008, 974). Die Beweiswürdigung muss für Dritte, insbes. für das Revisionsgericht, nachvollziehbar sein. Diesem Erfordernis genügt das Gericht nicht, wenn es nicht die Gründe darstellt, die für seine Überzeugung leitend gewesen sind (BFH v. 05.03.1980, II R 148/76, BStBl II 1980, 402; BFH v. 20.06.2012, X R 20/11, BFH/NV 2012, 1778). Deshalb sind die Ergebnisse der Beweiswürdigung im Urteil darzustellen. Willkürliche Feststellungen, wie z. B. die Verwerfung von Schätzungsunterlagen des Finanzamts ohne hinreichende Begründung und ihre Ersetzung durch einen eigenen Schätzungsbetrag unter Berufung auf das Recht der freien Beweiswürdigung können die Schätzung rechtsfehlerhaft machen, wenn das FG seine eigene Schätzungsbefugnis überschreitet. Andererseits bleibt dem Gericht stets ein gewisser Beurteilungsspielraum bei der Würdigung der Beweise. Allerdings müssen stets alle Umstände gewürdigt werden, die sich aus den Akten und ggf. einer Beweisaufnahme ergeben. Kommt das Gericht nach dieser Würdigung auch angesichts zweier theoretisch einander ausschließender Möglichkeiten zu dem Ergebnis, dass aufgrund der bekannten Tatsachen eine der Möglichkeiten als bewiesen angesehen werden kann und gibt es für diese eine hinreichende Begründung, so braucht nicht noch dargetan zu werden, warum sich das Gericht nicht für die andere Möglichkeit entschieden hat. Hält das Gericht ein Gutachten für ausreichend, dann braucht es in der Regel kein weiteres Gutachten einzuholen; bei mehreren Gutachten braucht es keinen Obergutachter zu hören: Es kann dem Gutachten folgen, dem nach schlüssig zu begründender Überzeugung des Gerichts der Vorzug zukommt, sofern es nur von zutreffenden (tatsächlichen oder rechtlichen) Erwägungen ausgeht. Abweichungen von Sachverständigengutachten müssen aber begründet werden.