Karl Blesinger, Dr. Andreas Viertelhausen
Tz. 1
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 41 Abs. 1 AO befasst sich mit der steuerlichen Behandlung rechtlich unwirksamer (= nichtiger) oder anfechtbarer (= mit rückwirkender Kraft vernichtbarer; Ellenberger in Palandt § 119 BGB Rz. 2) Geschäfte. Nachdem § 40 AO für verbotene oder gegen die guten Sitten verstoßende und aus diesem Grunde regelmäßig auch unwirksame Geschäfte den Grundsatz der Wertneutralität konstituiert, betrifft § 41 Abs. 1 AO Geschäfte, die aus anderen Gründen rechtlich unwirksam sind oder werden können. Das verbindende Element der steuerlichen Behandlung beider Kategorien von Geschäften ist der für das Steuerrecht bedeutsame Vorrang des Faktischen. Beide Vorschriften gelten grundsätzlich für alle Steuern. § 41 Abs. 1 AO ist auch eine Folge des im Zivilrecht geltenden Abstraktionsprinzips, wonach Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäfte rechtlich selbstständig sind. Regelmäßig werden steuerliche Tatbestände durch Ausführung der Erfüllungsgeschäfte verwirklicht (z. B. § 3 Abs. 1 UStG: nicht der Kaufvertrag, sondern die Verschaffung der Verfügungsmacht ist Lieferung). Da die Unwirksamkeit eines Verpflichtungsgeschäfts nicht auch zur Unwirksamkeit des Erfüllungsgeschäfts führt, stellt das Steuerrecht auf den Bestand des Erfüllungsgeschäfts ab (s. Rz. 5). Hierin erschöpft sich die Regelung des § 41 Abs. 1 AO aber nicht, denn es sind auch Fälle denkbar, in denen (auch) das Erfüllungsgeschäft unwirksam ist, die Beteiligten sein wirtschaftliches Ergebnis aber dennoch bestehen lassen. Erst die Rückabwicklung führt zum Wegfall der steuerlichen Folgen. Ist zweifelhaft, ob ein formunwirksames Geschäft vollzogen ist, so ist der Formfehler insbes. bei Verträgen zwischen nahen Angehörigen ein gewichtiges Indiz, das gegen den Vollzug spricht (BFH v. 22.02.2007, IX R 45/06, BStBl II 2011, 20; BFH v. 12.05.2009, IX R 46/08, BStBl II 2011, 24).
Tz. 2
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Für die Unwirksamkeit eines Rechtsgeschäftes kommen in erster Linie Mängel der rechtlichen Form, der Geschäftsfähigkeit oder der Vertretungsmacht, aber auch das Fehlen von Genehmigungen, insbes. behördlicher Stellen in Betracht. Zum Unwirksamwerden eines Rechtsgeschäfts führen vor allem die erfolgreiche Anfechtung wegen Irrtums, Täuschung, Drohung oder aus sonstigen Gründen, die das zunächst gültige Geschäft rückwirkend nichtig macht (s. § 142 BGB). Als Beispiele seien die Fälle der §§ 105, 174, 518, 2247, 2276, 2348 BGB, der §§ 2, 53 GmbHG und der §§ 23, 241, 256 AktG erwähnt, ferner der §§ 119, 1231 BGB sowie der §§ 197, 246 AktG (dieser auch für GmbH; zur Unwirksamkeit eines Ergebnisabführungsvertrags nach § 17 KStG s. BFH v. 30.07.1997, I R 7/97, BStBl II 1998, 33).
Tz. 3
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Der BGH (BGH v. 28.03.1979, V ZR 81/77, HFR 1980, 27) versagt einer nach ausländischem Recht wirksam gegründeten Gesellschaft nicht allein deshalb die rechtliche Anerkennung, weil die Absicht zugrunde lag, unter Ausnutzung der Gesellschaftsform Steuern zu hinterziehen. Steuerrechtlich gewollte Vertragsgestaltungen können nicht zivilrechtlich als nicht gewollt angesehen werden (BGH v. 18.11.1976, VIII ZR 150/75, DB 1977, 396); sind sie zivilrechtlich nicht gewollt, kann allerdings die Annahme eines durch Scheinhandlung verdeckten Geschäftes (s. § 41 Abs. 2 AO) in Betracht kommen.
Tz. 4
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Soweit § 41 Abs. 1 AO den Begriff der Beteiligten verwendet, ist damit nicht der Beteiligtenbegriff des § 78 AO gemeint, angesprochen sind vielmehr die an dem Rechtsgeschäft Beteiligten (s. AEAO zu § 41, Nr. 3).