Tz. 4

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Unternehmen ist eine wirtschaftliche, Betrieb eine technische Einheit sachlicher und persönlicher Mittel. Beim Unternehmen liegt das Schwergewicht auf dem Streben nach Umsatz bzw. Gewinn, beim Betrieb auf der Erstellung einer (technischen, merkantilen) Leistung. Jedes Unternehmen muss einen Betrieb haben, es kann aber auch aus mehreren Betrieben bestehen, gleichgültig ob diese eine wirtschaftliche Einheit bilden.

 

Tz. 5

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Ein Betrieb fällt nur dann unter die Haftungsvorschrift, wenn er gesondert geführt wird, obwohl er Glied eines Unternehmens ist. Es muss sich um einen organisatorisch selbstständigen Teil eines Unternehmens handeln, der für sich allein lebensfähig ist und der schon in der Hand des Veräußerers unabhängig von den anderen Geschäften des Veräußerers betrieben worden ist. Bei der Beurteilung ist allein auf die wirtschaftliche Selbstständigkeit abzustellen, die weder aus der Führung einer einheitlichen Firma noch aus einheitlicher Buchführung allein geleugnet werden kann. Vielmehr ist nach der Verkehrsauffassung zu entscheiden, ob sich die Unternehmensteile als wirtschaftlich selbstständig oder unselbstständig darstellen. Bei der Beurteilung dieser Frage können die für den Begriff des Teilbetriebs (s. §§ 14, 16 EStG) maßgeblichen Merkmale berücksichtigt werden (BFH v. 03.12.1985, VII R 186/83, BFH/NV 1986, 315). Ausschlaggebend ist, dass der Unternehmensteil nach seiner Loslösung aus seinem bisherigen Zweckzusammenhang als selbstständiges Unternehmen fortgeführt werden kann. Beispiele: Zuckerrübenfabrik eines Landgutes, Strumpffabrik einer Garnspinnerei, Zeche oder Verhüttungsbetrieb eines Unternehmens der eisenverarbeitenden Industrie, Lichtspieltheater einer Filmgesellschaft, Konservenfabrik einer Lebensmittelhandelsgesellschaft, Sägewerk eines forstwirtschaftlichen Betriebs, Kaffeegeschäft einer Kaffeerösterei (FG Bln v. 28.07.1966, I 139/65, EFG 1967, 49).

 

Tz. 6

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Als Unternehmen i. S. von § 75 Abs. 1 AO kommen neben gewerblichen Unternehmen auch die land- und forstwirtschaftlichen Betriebe in Betracht. Für die Frage, ob ein Unternehmen im Ganzen übereignet wird, ist die ertragsteuerliche Qualifikation der Einkünfte unerheblich. Maßgebend ist der Begriff des § 2 Abs. 1 UStG. Auch ein umsatzsteuerpflichtig vermietetes Grundstück ist nach Auffassung des BFH (BFH v. 11.05.1993, VII R 86/92, BStBl II 1993, 700; a. A. Klein, DStR 2005, 1753) ein Unternehmen i. S. der Vorschrift. Auch freiberuflich ausgeübte Tätigkeiten fallen grundsätzlich unter § 75 Abs. 1 AO. Soweit die selbstständige Tätigkeit im Wesentlichen auf persönliche Fähigkeiten und Arbeitsleistung ohne nennenswerten Einsatz sachlicher Mittel gestützt ist, kommt eine Übertragung nicht infrage. Es fehlt insoweit an übereignungsfähigen wesentlichen Betriebsgrundlagen. Eine eingespielte Organisation, ein fester Kunden- oder Mandantenstamm oder ähnliche Merkmale können jedoch auch bei selbstständig Tätigen die Anwendung des § 75 Abs. 1 AO rechtfertigen.

 

Tz. 7

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Das Unternehmen oder der Betrieb muss ein lebender Organismus sein. Dies bedeutet nicht unbedingt, dass das Unternehmen im Zeitpunkt der Übereignung "arbeiten" muss. Maßgebend ist, ob die lebendige Kraft des Unternehmens noch existiert, m. a. W. ob das Unternehmen, selbst wenn es augenblicklich stillliegt, ohne wesentlichen Aufwand wieder in Gang gesetzt werden und funktionieren kann (BFH v. 08.07.1982, V R 138/81, BStBl II 1983, 282). Im gleichen Sinn ist auch der mit dem Erwerb verfolgte Zweck zu beurteilen. Wird ein lebensfähiger Betrieb aus Konkurrenzgründen erworben und stillgelegt, tritt die Haftung ein (FG RP v. 06.10.1972, III 1885/67, EFG 1973, 123). Wird jedoch ein "sterbender" Betrieb, dessen Auflösung und Abwicklung von den Beteiligten von vornherein in Rechnung gestellt und dann auch tatsächlich durchgeführt worden ist, zum Zwecke der Schuldtilgung erworben, scheidet die Haftung aus (BFH v. 02.06.1960, V 71/58, BB 1960, 1232). Jeder konkrete Einzelfall muss an den dargelegten grundsätzlichen Kriterien gemessen werden.

 

Tz. 8

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Die fehlende Lebenskraft eines Unternehmens kann nicht zwingend aus der Tatsache gefolgert werden, dass der Erwerber mit Verlust arbeitet, weil das Betriebsergebnis wesentlich auch von der eigenen Tüchtigkeit des neuen Betriebsinhabers abhängig ist. Ein Erwerb zum Zweck der Verpachtung oder Weiterveräußerung steht der Haftung nicht entgegen; diese Zweckbestimmung beweist vielmehr grundsätzlich die Existenz eines lebensfähigen Organismus, sofern die Weiterveräußerung nicht der Liquidierung dienen soll (BFH v. 04.02.1974, IV R 172/70, BStBl II 1974, 434).

 

Tz. 9

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Die Haftung knüpft nicht an die Person des Unternehmers oder des Betriebsinhabers an, sondern ist sachbezogen auf das übereignete Unternehmen oder den übereigneten Betrieb (BFH v. 28.11.1973, I R 129/71, BStBl II...

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