Tz. 3

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Vorabentscheidungen über den Grund des Klageanspruchs können nach § 99 Abs. 1 FGO – ohne dass es der Zustimmung der Beteiligten bedarf – ergehen, wenn sowohl über den Grund wie über den Betrag gestritten wird, der Streit über den Grund, nicht aber auch über den Betrag, spruchreif ist und ein Interesse besteht, hinsichtlich des Grundes zu einer selbstständig anfechtbaren Entscheidung zu gelangen. Voraussetzung ist aber, dass sich der Streit über den Grund des Anspruchs von demjenigen über die Höhe des Anspruchs trennen lässt (BFH v. 27.07.2010, I B 61/10, BFH/NV 2010, 2119 m. w. N.). Ob das Gericht hiernach verfahren will, hat es – unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten – nach pflichtmäßigem Ermessen zu entscheiden (s. Rz. 2). Ist nur der Grund oder nur der Betrag streitig, ergeht Endurteil (BFH v. 20.01.1988, II R 105/87, BFH/NV 1989, 311). Die Möglichkeit, nach § 99 Abs. 1 FGO durch Zwischenurteil über den Grund des Anspruchs zu befinden, ist auf Leistungsklagen einschließlich der Verpflichtungsklage, sofern der begehrte Verwaltungsakt eine Geldleistung betrifft, und auf Anfechtungsklagen gegen Verwaltungsakte, die einen bezifferten Anspruch betreffen, begrenzt.

 

Tz. 4

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Anspruch i. S. der Vorschrift ist nicht der verfahrensrechtliche Anspruch, der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf Festsetzung (Herabsetzung eines festgesetzten) Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis in einem bestimmten Ausmaß, sondern der materiellrechtliche Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis (BFH v. 30.03.1989, IV R 71/88, BFH/NV 1990, 228). Da bei Nichtbestehen des Anspruchsgrunds kein Urteil nach § 99 Abs. 1 FGO ergehen kann, sondern Endurteil ergehen muss, liegt der prozessökonomische Zweck des Grundurteils darin, umfangreiche Ermittlungen zur Betragshöhe zu ersparen, die sich erübrigen, wenn das Revisionsgericht die Rechtsauffassung des FG zum Anspruchsgrund nicht teilt (s. BFH v. 14.07.1982, II R 1/81, BStBl II 1983, 25). Die Rechtsprechung hat jedoch den Anwendungsbereich sehr verengt: ein Grundurteil komme nur in Betracht, wenn die Möglichkeit bestehe, den Prozess endgültig zu erledigen (BFH v. 20.06.1968, IV R 222/66, BStBl II 1968, 804; BFH v. 30.05.1975, III R 72/74, BStBl II 1975, 714). Im Übrigen hat die Rechtsprechung des BFH (abgesehen vom Gebiet der Einzelsteuern, s. BFH v. 14.07.1982, II R 1/81, BStBl II 1983, 25) den Anwendungsbereich des § 99 Abs. 1 FGO einerseits durch Rückgriff auf die Entscheidung des Großen Senats v. 17.07.1967 GrS 1/66, BStBl II 1968, 344 zum Streitgegenstandsbegriff eingrenzt (s. BFH v. 20.06.1968, IV R 222/66, BStBl II 1968, 804; BFH v. 06.11.1969, IV R 209/67, BStBl II 1970, 188; BFH v. 14.05.1980, I R 135/77, BStBl II 1980, 695) und andererseits klargestellt, dass einzelne Besteuerungsgrundlagen nicht Ansprüche i. S. des § 99 Abs. 1 FGO sind, weil Anspruch in diesem Sinn stets der gesamte Steueranspruch ist (vgl. BFH v. 25.02.2010, IV R 24/07, BFH/NV 2010, 1491). Deshalb ist in Streitsachen wegen (einheitlicher und) gesonderter Gewinnfeststellung der Erlass eines Grundurteils schlechthin unzulässig (BFH v. 17.10.1979, I R 157/76, BStBl II 1980, 252; BFH v. 15.11.1992, VIII R 35/91, BFH/NV 1993, 316; BFH v. 09.09.1993, IV R 14/91, BStBl II 1994, 250). Die Ausgrenzung der gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen aus dem Anwendungsbereich des § 99 Abs. 1 FGO allein aufgrund der rechtstechnischen Besonderheit ihrer verselbstständigten Feststellung, erscheint nicht unbedenklich und wird daher kritisiert (so Brandis in Tipke/Kruse, § 99 FGO Rz. 5; von Groll in Gräber, § 99 FGO Rz. 6). Ein Grundurteil kann aber z. B. über die Frage ergehen, ob eine verdeckte Gewinnausschüttung vorliegt (BFH v. 27.07.2010, I B 61/10, BFH/NV 2010, 2119).

 

Tz. 5

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Zum Grund eines nach Grund und Höhe bestrittenen Anspruchs gehört auch die Frage nach dessen Durchsetzbarkeit in abgabenverfahrensrechtlicher Hinsicht. Deshalb kann jedenfalls über die Frage, ob der Festsetzung des Anspruchs bzw. dem Begehren auf Änderung usw., sofern auch die Höhe des Anspruchs strittig ist, der Ablauf der Festsetzungsfrist entgegenstand bzw. -steht, ob die Voraussetzungen für die erhöhende Änderung einer Steuerfestsetzung vorlagen usw. vorab durch Zwischenurteil über den Grund entschieden werden. Hat das Grundurteil im Revisionsverfahren keinen Bestand, so ist in solchen Fällen sogar dem Postulat des BFH genügt, dass der Rechtsstreit dann vollumfänglich erledigt ist.

Dieser Inhalt ist unter anderem im Kühn, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung (Schäffer-Poeschel) enthalten. Sie wollen mehr?


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