Karl Blesinger, Dr. Andreas Viertelhausen
Tz. 25
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Nach § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO ist die Offenbarung oder Verwertung einschlägiger Kenntnisse insoweit zulässig, als sie durch Gesetz ausdrücklich zugelassen ist. Der bloße Rückschluss aus einer gesetzlichen Regelung, dass sie stillschweigend die Durchbrechung des Steuergeheimnisses gestatte, scheint durch diesen Wortlaut generell versperrt. Es gibt allerdings Vorschriften, die offenkundig eine Offenbarungsbefugnis voraussetzen, weil sie andernfalls leerliefen. So setzt z. B. die Verfolgung einer Person, die das Steuergeheimnis gebrochen hat, nach § 355 Abs. 3 StGB einen Strafantrag des Dienstvorgesetzten oder Verletzten voraus. Die Vorschrift enthält für den Dienstvorgesetzten keine ausdrückliche Offenbarungsbefugnis, sie setzt sie aber logisch zwingend voraus, weil der Dienstvorgesetzte sonst seinerseits gezwungen wäre, das Steuergeheimnis unbefugt zu verletzen. Das zeigt, dass eine gesetzliche Offenbarungsbefugnis dann gegeben ist, wenn das Gesetz ohne jeden Zweifel die Zulässigkeit der Offenbarung voraussetzt. § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO enthält kein Zitiergebot für die Erlaubnisnorm (BFH v. 27.02.2014, III R 40/13, DB 2014, 1062).
Tz. 26
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Anwendungsfälle finden sich in der AO selbst (s. neben den übrigen Nummern des § 30 Abs. 4 sowie Abs. 5 AO z. B. auch §§ 31, 31a, 31b, 51 Abs. 3 Satz 2, § 117 Abs. 2, § 260 AO), in § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG (s. § 31b AO Rz. 5) und neben Doppelbesteuerungsabkommen (s. Art. 26 Abs. 1 DBA-USA, BFH v. 29.04.1992, I B 12/92, BStBl II 1992, 645) sowie dem EUAHiG (zur Zulässigkeit einer Spontanauskunft BFH v. 15.02.2006, I B 87/05, BStBl II 2006, 616) in zahlreichen Einzelgesetzen, in denen der Finanzbehörde eine Auskunftspflicht oder dergleichen auferlegt wird. Beispielhaft sind zu erwähnen:
- § 88 Abs. 3 AufenthaltsG,
- § 49 Abs. 6 BeamtStG und § 115 Abs. 6 BBG (BMF v. 12.01.2018, BStBl I 2018, 201; BVerfG v. 06.05.2008, 2 BvR 336/07, NJW 2008, 3489; BFH v. 15.01.2008, VII B 149/07, BStBl II 2008, 337 zur Zulässigkeit der Weitergabe von Erkenntnissen nach einer Selbstanzeige; BVerwG v. 05.03.2010, 2 B 22/09, NJW 2010, 2229; vgl. auch AEAO zu § 30, Nr. 11.8 wegen arbeitsrechtlicher Maßnahmen gegen Angestellte),
- § 6 Abs. 2 Bundesmeldegesetz
- § 17 Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Landwirtschaftssachen,
- § 19 Abs. 2, § 26 Abs. 6 Kostenordnung,
- § 8 Abs. 2 KreditwesenG,
- § 128 LastenausgleichsG,
- § 25 Abs. 3 PersonenbeförderungsG,
- § 21 Abs. 4 Sozialgesetzbuch X,
- § 21 Abs. 5 UnterhaltssicherungsG,
- § 94a Zweites WohnungsbauG und
- das Gesetz über Steuerstatistiken,
s. auch § 5 Abs. 2 und 3, §§ 10, 10a StBerG (gleichlautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder v. 22.07.2014, BStBl I 2014, 1195).
Weitere gesetzliche Regelungen sind im AEAO zu § 30, Nr. 7 aufgeführt. Wegen der Vielzahl der gesetzlichen Offenbarungsbefugnisse bestehen verfassungsrechtliche Bedenken, weil das Steuergeheimnis im Grundsatz zu viele Ausnahmen erfährt und damit das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung im Besteuerungsverfahren in seinem Kern nicht mehr garantiert ist (s. § 31b AO Rz. 5).
Tz. 27
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Einen gesetzlich zugelassenen Fall befugten Verwertens (Verwendens) enthält § 249 Abs. 2 Satz 2 AO.
Tz. 27a
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Keine Offenbarungsbefugnis enthält das Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes (Informationsfreiheitsgesetz – IFG). Dieses Gesetz, das nach seinem § 1 Abs. 1 nur gegenüber Bundesbehörden gilt, respektiert nach § 3 Nr. 4 IFG Geheimhaltungs- und Vertraulichkeitspflichten in anderen Vorschriften, wie z. B. § 30 AO (BFH v. 07.12.2006, V B 163/05, BStBl II 2007, 275; zum Auskunftsanspruch auch nach landesrechtlichen Regelungen Polenz, NJW 2009, 1921; Eisolt, DStR 2013, 439).
Tz. 27b
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Neu hinzugekommen sind § 30 Abs. 4 Nr. 2a-c AO. § 30 Abs. 4 Nr. 2a AO stellt klar, dass eine Durchbrechung des bundesgesetzlich geregelten Steuergeheimnisses auch durch das Recht der Europäischen Union angeordnet werden kann. Anders als in Nr. 2 wird hier aber nicht verlangt, dass die Durchbrechung des Steuergeheimnisses im Unionsrecht ausdrücklich zugelassen sein muss (AEAO zu § 30, Nr. 8). § 30 Abs. 4 Nr. 2b AO regelt, dass eine Durchbrechung des Steuergeheimnisses zulässig ist, soweit dies der Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben des Statistischen Bundesamtes, z. B. nach dem Gesetz über Steuerstatistiken, dient. Von den Daten der Steuer- und Zollverwaltung hängen nicht nur die entsprechenden Bereichsstatistiken ab, die größtenteils im Steuerstatistikgesetz geregelt sind. Weite Teile der Bundesstatistik, besonders die Unternehmensstatistiken und hier vor allem die Statistiken des Dienstleistungssektors und des Handwerks, sind ohne diese Daten nicht mehr durchführbar. § 30 Abs. 4 Nr. 2c AO regelt, dass eine Durchbrechung des Steuergeheimnisses zulässig ist, soweit dies der Entwicklung, Überprüfung oder Änderung automatisierter Verfahren oder der Gesetzesfolg...