Tz. 5
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Der Anspruch gegen den Arbeitnehmer als Schuldner der Lohnsteuer (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EStG) ist ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis und fällt deswegen unter § 222 Satz 1 AO. Ursprünglich hatte die Rspr. (BFH v. 08.02.1957, VI 141/56, BStBl III 1957, 329; noch ergangen zu § 127 AO a. F.) die Frage der Stundbarkeit der Lohnsteuer (außer im Nachforderungsfall) dennoch verneint. Mit Entscheidung v. 12.03.1993, VI R 71/90, BStBl II 1993, 479 hat der BFH die Stundungsfähigkeit der Lohnsteuer gegenüber dem Arbeitnehmer dann aber ausdrücklich bejaht (s. dort auch wegen des Procedere). Diese Entscheidung war Anlass zur Anfügung von § 222 Satz 3 AO durch das StMBG (s. BR-Drs. 612/93, 103). Danach sind nunmehr kraft Gesetzes Ansprüche gegen den Steuerschuldner von der Stundung ausgeschlossen, wenn und soweit ein Dritter (Entrichtungsschuldner) die Steuer für Rechnung des Steuerschuldners zu abzuführen hat.
Tz. 6
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Dieser Ausschluss insbes. der Lohnsteuerpflichtigen von der Möglichkeit, den Steueranspruch zu stunden, verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG (ebenso Loose in Tipke/Kruse, § 222 AO Rz. 6). Art. 3 Abs. 1 GG ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (BVerfG v. 07.10.1980, 1 BvL 50/79, BVerfGE 55, 72, 88). Die vom Gesetzgeber getroffene Ausgrenzung der Lohnsteuerpflichtigen findet keinen ausreichenden Grund in der Entscheidung des Einkommensteuergesetzes für das Abzugsverfahren als Form der Steuererhebung bei Einkünften aus unselbstständiger Arbeit (s. auch BVerfG v. 08.10.1991, 1 BvL 50/86, BVerfGE 84, 348, 364). Denn die Unterscheidung mehrerer Einkunftsarten und die daran anknüpfenden Regelungen können aus sich heraus nicht dazu führen, Stpfl., die Einkünfte aus einer bestimmten Einkunftsart haben, es im Gegensatz zu denjenigen, die Einkünfte aus einer der anderen Einkunftsarten haben, die Möglichkeit, im Billigkeitswege bei erheblichen, gar die Existenz bedrohenden Härten Stundung zu erlangen, zu verwehren, weil diesbezüglich keine tatsächlichen Unterschiede eine rechtliche Unterscheidung rechtfertigen (s. auch BVerfG v. 07.07.1992, 1 BvL 51/86 u. a., BVerfGE 87, 1, 33 ff.). Wenngleich auch verwaltungstechnische Gründe geeignet sind, eine Ungleichbehandlung zu rechtfertigen, setzt das jedoch voraus, dass bei einer Gleichbehandlung erhebliche verwaltungstechnische Schwierigkeiten entstünden, die nicht durch einfachere, die Betroffenen weniger belastende Regelungen behoben werden könnten (BVerfG v. 08.10.1991, 1 BvL 50/86, BVerfGE 84, 348, 364). Den Weg einer die Betroffenen weniger belastenden, wenn auch nicht ganz einfachen Regelung hat BFH v. 12.03.1993, VI R 71/90, BStBl II 1993, 479 gewiesen. Die Funktionsfähigkeit des Steuerabzugsverfahrens beeinträchtigt sie jedenfalls nur in geringem Maße (s. auch die in BFH v. 12.03.1993, VI R 71/90, BStBl II 1993, 479, 481 geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine solche gesetzliche Regelung).
Tz. 7
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 222 Satz 4 AO schließt die Stundung des Haftungsanspruchs gegen den Entrichtungsschuldner aus, soweit er Steuerabzugsbeträge einbehalten oder Beträge, die eine Steuer enthalten, eingenommen hat. So unbedenklich die zweite Alternative ist, so blauäugig ist die erste. Zwar stellen auch aus steuerrechtlicher Sicht einbehaltene Steuerabzugsbeträge als Teil des arbeitsvertraglich geschuldeten Lohns "Fremdgeld" dar. Aus der Sicht des Entrichtungsschuldners – insbes. des Arbeitgebers bei der Lohnsteuer – handelt es sich jedoch um im Einzelfall kaum zu verkraftenden Liquiditätsabfluss bei ihm, dem ohnehin schon entschädigungslos die Einbehaltungs- und Abführungspflicht und die damit in Zusammenhang stehenden weiteren Dienste aufgebürdet sind. Trotzdem ist der Stundungsausschluss u. E. nicht wegen Verstoßes gegen das Übermaßverbot verfassungswidrig (a. A. Loose in Tipke/Kruse, § 222 AO Rz. 9), und zwar gerade deshalb, weil der einbehaltene (und abzuführende) Betrag Teil des aus anderem Rechtsgrund zu erfüllenden Anspruchs (des Steuerschuldners) ist.