Katharina Wagner, Dr. Klaus J. Wagner
Tz. 5
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Mit der Tatsache, dass das FG nur über den Streitgegenstand entscheidet, korrespondiert die Regelung in § 110 Abs. 2 FGO. Danach sind die Finanzbehörden nicht gehindert, aus Tatsachen, über die das Gericht nicht entschieden hat, weil sie außerhalb des der Urteilsfindung zugrunde gelegten Sachverhalts lagen, im Rahmen der steuerrechtlichen Verfahrensvorschriften, insbes. der §§ 130, 131, 172 bis 175a AO und § 35b GewStG, die gesetzlichen Folgerungen zu ziehen, insbes. Steuer nachzufordern oder Wertfeststellungen zu erhöhen. Entsprechendes gilt, wenn das Finanzgericht nicht zur Sache entschieden, sondern die Vorentscheidung aus formellen Gründen aufgehoben hat (BFH v. 17.02.1982, II R 176/80, BStBl II 1982, 524).
Tz. 6
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 110 Abs. 2 FGO letzter HS wirkt sich für die Finanzverwaltung insbes. als Beschränkung der ihr durch die §§ 174 und 177 AO eingeräumten besonderen Befugnisse aus. Soweit die in § 110 Abs. 1 FGO angeordnete Bindung an die Gerichtsentscheidung reicht, ist es der Finanzbehörde bei auf § 110 Abs. 2 FGO beruhenden Handlungen verwehrt, Saldierungen mit Rechtsfehlern i. S. des § 177 AO vorzunehmen. Die Bereinigung widerstreitender Steuerfestsetzungen gem. § 174 AO muss der Finanzbehörde ebenfalls insoweit verschlossen bleiben, als die Bindungswirkung nach § 110 Abs. 1 FGO reicht (BFH v. 27.09.2016, VIII R 16/14, BFH/NV 2017, 595). Dies muss auch dann gelten, wenn hierdurch im Einzelfall dem materiellen Steuerrecht zuwiderlaufend eine Begünstigung oder Benachteiligung des von der Bindungswirkung betroffenen Beteiligten die Folge ist. Die Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen muss der materiellen Gerechtigkeit vorgehen.
Problematisch kann der Umfang der Bindungswirkung solcher Entscheidungen sein, die auf die zulässige Anfechtung von unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Verwaltungsakten (§ 164 AO) ergehen. Grundsätzlich bleibt der Vorbehalt der Nachprüfung auch für die vom Gericht getroffene Entscheidung bestehen; der Umfang der Nachprüfung des angefochtenen Verwaltungsakts wird entscheidend durch die Wirksamkeit des Vorbehalts geprägt. Gleichwohl ist die Bindungswirkung der Gerichtsentscheidung nicht eingeschränkt; denn das Gericht ist auch soweit der Vorbehalt reicht, zu einer abschließenden und umfassenden Beurteilung ermächtigt. Damit wird eine ansonsten wahrscheinliche Doppelbefassung des Gerichts nach Erlass des endgültigen Bescheids über die selbe Streitfrage vermieden. Demgemäß muss das Interesse der Finanzbehörde an dem Vorbehalt der Nachprüfung zurücktreten (s. BFH v. 07.02.1990, I R 147/87, BStBl II 1990, 1032; Seer in Tipke/Kruse, § 110 FGO Rz. 32; von Groll in Gräber, § 110 FGO Rz. 25).
Vergleichbares gilt für vorläufige Verwaltungsakte (§ 165 AO); soweit die Ungewissheit reicht, kann keine Bindung nach § 110 Abs. 1 FGO eintreten, es sei denn, das Gericht hat gerade über den Gegenstand entschieden, bezüglich dessen die Vorläufigkeit angeordnet war.