Tz. 5

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nur dann zu gewähren, wenn der Beteiligte an der Einhaltung der Frist (s. Rz. 2 f.) ohne Verschulden verhindert war. Ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist jemand dann, wenn er die für einen gewissenhaft und sachgemäß handelnden Verfahrensbeteiligten gebotene und ihm nach den Umständen zumutbare Sorgfalt beachtet hat (vgl. z. B. BFH v. 09.08.2000, I R 33/99, BFH/NV 2001, 410; BFH v. 13.09.2017, V B 64/17, BFH/NV 2018, 45). Es gilt also ein subjektiver Verschuldensmaßstab. Jedes Verschulden – also auch einfache Fahrlässigkeit – schließt daher die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (z. B. BFH v. 30.11.2010, IV B 39/10, BFH/NV 2011, 613; BFH v. 26.02.2014, IX R 41/13, BFH/NV 2014, 881; BFH v. 28.07.2017, X S 2/17 [PKH], BFH/NV 2017, 1629). Dabei kommt es in erster Linie auf das Verschulden des Beteiligten selbst an, in zweiter Linie muss er sich das Verschulden des Bevollmächtigten zurechnen lassen (z. B. BFH v. 27.01.1967, VI R 155/66, BStBl III 1967, 290; BFH v. 28.07.2017, X S 2/17 [PKH], BFH/NV 2017, 1629), dies folgt aus § 155 Satz 1 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO. Allerdings endet die Zurechnung aus § 85 Abs. 2 ZPO bereits mit Kündigung des Vollmachtsverhältnisses im Innenverhältnis (BGH v. 10.07.1985, IVb ZB 102/84, HFR 1987, 270). Ein angestellter verantwortlich tätiger qualifizierter Berufsträger, der nicht nur unselbständige Hilfs- und Bürotätigkeiten ausübt, ist einem Bevollmächtigen i. S. des § 85 Abs. 2 ZPO gleichgestellt (BFH v. 13.09. 2012, XI R 13/12, BFH/NV 2013, 60; BFH v. 26.02.2014, IX R 41/13, BFH/NV 2014, 881). Das Vorstehende gilt auch für das Verschulden eines Zustellungsbevollmächtigten (BFH v. 08.09.1971, BStBl II 1971, 810).

 

Tz. 6

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Wegen der einzelnen Fälle des Verschuldens wird auf die ausführlichen Erläuterungen zu § 110 AO verwiesen (s. § 110 AO Rz. 8 ff.). Aus der speziell zu § 56 FGO ergangenen Rspr. seien folgende Fälle zitiert:

Ein Prozessbevollmächtigter ist verpflichtet, seinen Bürobetrieb so zu organisieren, dass Fristversäumnisse ausgeschlossen sind (BFH v. 28.03.2014, IX B 115/13, BFH/NV 2014, 896). Wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen eines entschuldbaren Büroversehens begehrt, so muss substantiiert und schlüssig vorgetragen werden, dass kein Organisationsfehler vorliegt (BFH v. 23.08.2016, IX R 15/16, BFH/NV 2017, 47; s. Rz. 7). Bei Angehörigen der rechtsberatenden und steuerberatenden Berufe ist eine Erkrankung nur dann ein Grund für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn sie entweder plötzlich und unvorhersehbar aufgetreten oder so schwer ist, dass weder die Fristwahrung noch die Bestellung eines Vertreters möglich gewesen ist (z. B. BFH v. 10.05.2013, II R 5/13, BFH/NV 2013, 1428; BFH v. 06.11.2014, VI R 39/14, BFH/NV 2015, 339). Im Fall der Erkrankung des Bevollmächtigten genügt es für die schlüssige Begründung des Wiedereinsetzungsantrags nicht, allein den Umstand der Erkrankung darzulegen; vielmehr muss substantiiert dargelegt werden, welche Vorkehrungen der Bevollmächtigte getroffen hat (Büroorganisation, Bestellung eines Vertreters), um eine Fristversäumnis zu vermeiden, oder aus welchen Gründen (z. B. plötzlicher Ausbruch der Krankheit) Maßnahmen dieser Art nicht ergriffen werden konnten (BFH v. 20.01.2004, V R 40/03, BFH/NV 2004, 657). Im Übrigen muss der Rechtsanwalt oder Steuerberater für den Fall seiner Erkrankung seiner individuellen Arbeitsweise angepasste Vorkehrungen zur Vermeidung einer Fristversäumnis treffen (BFH v. 27.07.2015, X B 107/14, BFH/NV 2015, 1431; BFH v. 06.08.2015, III B 46/15, BFH/NV 2015, 1593). Eine Erkrankung des Mandanten begründet demgegenüber grds. keine Wiedereinsetzung, da der Bevollmächtigte ungeachtet dessen einen fristwahrenden Antrag stellen kann (BFH v. 06.05.2013, VI B 167/12, BFH/NV 2013, 1427).

 

Tz. 7

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Keine Wiedereinsetzung kann bei mangelhafter Fristenkontrolle im Bürobetrieb des Prozessbevollmächtigten gewährt werden (BFH v. 23.09.2010, II R 64/09, BFH/NV 2011, 54). Die Fristenkontrolle ist so zu organisieren, dass sie einen gestuften Schutz gegen Fristversäumungen sicherstellt (z. B. BFH v. 15.05.2015, II R 28/14, BFH/NV 2015, 1262 m. w. N.). Ein Organisationsverschulden liegt hier vor, wenn im Bürobetrieb des Prozessbevollmächtigten eine abendliche Kontrolle der in dem elektronischen Fristenkontrollbuch eingetragenen Fristen nicht vorgesehen ist (BFH v. 18.06.2015, IV R 18/13, BFH/NV 2015, 1349). Schuldhaft ist die Fristversäumnis auch, wenn der Prozessbevollmächtigte des Revisionsklägers es unterlassen hat, in dem geführten Fristenkontrollbuch besondere Spalten für die Überwachung von Revisionsbegründungsfristen und der Verlängerung vorzusehen, wenn nicht sichergestellt ist, dass die zunächst vermerkte Revisionsbegründungsfrist erst dann gelöscht wird, wenn zugleich eine vom Vorsitzenden verlängerte mitgeteilte Frist einge...

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