Katharina Wagner, Dr. Klaus J. Wagner
1. Arten einstweiliger Anordnungen
Tz. 8
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Das Gesetz unterscheidet zwischen zwei verschiedenen Arten einstweiliger Anordnungen. Nach § 114 Abs. 1 Satz 1 FGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Insoweit dient die Vorschrift der vorläufigen Sicherung eines bestehenden Zustands (sog. Sicherungsanordnung). Nach § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder wenn andere Gründe dies nötig erscheinen lassen (sog. Regelungsanordnung). Beide Alternativen setzen zum einen voraus, dass der Antragsteller eine schutzwürdige Rechtsposition innehat. Dies ist die materiellrechtliche Seite der einstweiligen Anordnung (Anordnungsanspruch). Zum anderen muss die Maßnahme des einstweiligen Rechtsschutzes nötig sein, es also bei einem Untätigbleiben zu einer Gefährdung des Rechts kommen. Dies ist der Aspekt der Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund; s. auch BFH v. 22.12.2006, VII B 121/06, BFH/NV 2007, 802). Trotz der vermeintlich klaren gesetzlichen Strukturierung ist aber in der Praxis eine eindeutige Abgrenzung oftmals nur schwer möglich.
Tz. 9
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Anordnung muss sich auf den Streitgegenstand beziehen. Dabei handelt es sich um das sich aus dem Antrag ergebende konkrete Begehren des Antragstellers. Ist das Verfahren bereits in der Hauptsache anhängig, wird das Begehren im vorläufigen Rechtsschutz dem des Hauptsacheverfahrens entsprechen (Loose in Tipke/Kruse, § 114 FGO Rz. 12). Allerdings kann der Antragsteller sein Begehren auch auf einen Teil des in der Hauptsache streitigen Begehrens beschränken. Ist ein Verfahren noch nicht anhängig, ist das Begehren aus dem Antrag und dem konkreten Verfahren zu ermitteln.
Tz. 10
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Steht die streitbefangene Regelung im Ermessen der Finanzbehörde, genügt zum Erlass einer einstweiligen Anordnung noch nicht, dass der Antragsteller einen Ermessensfehler geltend macht. Vielmehr muss der Antragsteller alle Tatsachen darlegen, aus denen sich die begehrte Rechtsfolge ergibt. Nur wenn das FG in der Lage wäre, über den Anspruch in der Hauptsache zu entscheiden und diesen zuzusprechen (Ermessensreduzierung auf "null"). kommt der Erlass der Anordnung in Betracht (s. BFH v. 08.02.1988, IV B 102/87, BStBl II 1988, 514). Nur in besonderen Fällen kann das FG eine vorläufige Regelung im Wege einer eigenen Ermessensentscheidung treffen (Interimsermessen).
2. Sicherungsanordnung
Tz. 11
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Anordnung soll einen bestehenden Zustand sichern. Ob ein Anordnungsanspruch besteht, richtet sich dementsprechend danach, ob der Antragsteller einen Anspruch darauf hat, den in Frage gestellten Zustand aufrecht zu erhalten. Da für Anfechtungsklagen der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach § 69 FGO vorrangig ist (s. Rz. 2), kommt der Erlass einer Sicherungsanordnung nur in Betracht, wenn im Hauptsacheverfahren die allgemeine Leistungsklage oder die Verpflichtungsklage gegeben ist. Erfasst wird damit im Wesentlichen der Rechtsschutz gegen behördliche Maßnahmen, die keinen Verwaltungsakt darstellen oder wenn die Sicherung der bisherigen Rechtsposition einen Verwaltungsakt der Behörde erfordert. So kommt eine einstweilige Anordnung in Betracht, wenn die Zwangsvollstreckung im Einzelfall unbillig ist (§ 258 AO; auch s. Rz. 12), wobei über den Weg der einstweiligen Anordnung keine endgültige (keine Vorwegnahme der Hauptsache!), sondern nur eine einstweilige Einstellung der Vollstreckung erreicht werden kann. Neben dem Verfahren auf einstweilige Einstellung der Vollstreckung kann auch die Aussetzung der Vollziehung der anfechtbaren Vollstreckungshandlung begehrt werden (BFH v. 15.01.2003, V S 17/02, BFH/NV 2003, 738). Anwendung findet § 114 Abs. 1 Satz 1 FGO z. B. auch, wenn die Finanzbehörde einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellt (BFH v. 25.02.2011, VII B 226/10, BFH/NV 2011, 1017; BFH v. 31.08.2011, VII B 59/11, BFH/NV 2011, 2105), zur Verhinderung der Weitergabe von Mitteilungen an Dritte (BFH v. 15.01.2008, VII B 149/07, BStBl II 2008, 337), zur Untersagung der Offenbarung von durch das Steuergeheimnis geschützten Verhältnissen (BFH v. 16.10.1986, V B 3/86, BStBl II 1987, 30), einschließlich der Versendung von Kontrollmaterial (BFH v. 25.07.2000, VII B 28/99, BStBl II 2000, 643) und auf Spontanauskünfte (s. Rz. 4).
Tz. 12
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Liegt ein Anordnungsanspruch vor, bedarf es der Prüfung, ob ein Anordnungsgrund gegeben ist. Erforderlich ist, dass ohne die einstweilige Anordnung die Verwirklichung des Anordnungsanspruchs vereitelt oder wesen...