Katharina Wagner, Dr. Klaus J. Wagner
1. Grundsatz: eigene Festsetzung durch das Gericht
Tz. 10
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Abweichend vom Kassationsprinzip kann das Gericht, sofern der Kläger mit der Anfechtungsklage die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, begehrt, nach § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO (zu Ausnahmen § 100 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 FGO) den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Die derartige Änderung dem Betrage nach erfasst zwar, rein wörtlich genommen, auch diejenigen einen Geldbetrag festsetzenden Verwaltungsakte betreffende Anfechtungsklagen, die Ermessensentscheidungen (Verspätungszuschläge, § 152 AO, Zwangsgelder, §§ 328, 329 AO) zum Gegenstand haben. Da das Gericht sein Ermessen nicht an die Stelle des Ermessens der Behörde setzen kann (s. § 102 FGO Rz. 5), kommt die Anwendung dieser Vorschrift auf solche Verwaltungsakte nicht in Betracht (Ermessensreduzierung auf null hinsichtlich des Betrages ist nicht denkbar).
Tz. 11
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Betragsfestsetzung durch das Gericht kann immer nur zu einem für den Kläger im Vergleich zum angefochtenen Verwaltungsakt günstigeren Ergebnis führen. Dies kann eine Herabsetzung der Steuer oder z. B. auch die Feststellung höherer Verluste oder eine weitere Herabsetzung der Umsatzteuer sein.
§ 100 Abs. 2 Satz 1 FGO stellt die Betragsfestsetzung in das Ermessen des Gerichts. Dies bedeutet aber nicht, dass das Gericht den angefochtenen Steuerbescheid nach § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO lediglich aufheben kann. Vielmehr hat das Gericht den Bescheid zu ändern, sei es, indem es den als zutreffend ermittelten Steuerbetrag gem. § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO selbst festsetzt oder gem. § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO der Finanzbehörde die Berechnung überträgt (st. Rspr., s. BFH v. 23.11.1988, X R 1/86, BStBl II 1989, 376; BFH v. 18.05.1999, I R 102/98, BFH/NV 1999, 1492). Dies gilt auch für einen teilweisen Erfolg der Klage.
2. Betragsberechnung durch die Finanzbehörde
Tz. 12
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Möglichkeit des Gerichts, der Finanzbehörde die Steuerberechnung nach § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO zu übertragen, beinhaltet keine Rückverweisung auf das in § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO normierte Kassationsprinzip. Das Gericht hat auch in den Fällen des § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO die inhaltliche Änderung des Verwaltungsakts selbst vorzunehmen und kann nur die reine Berechnung der Behörde überlassen. Das Gericht muss also aufgrund der ihm obliegenden Verpflichtung zur Sachaufklärung zu der Überzeugung gekommen sein, dass das klägerische Anfechtungsbegehren (zumindest teilweise) deshalb begründet ist, weil der angefochtene Verwaltungsakt (teilweise) dem Grunde nach mit Bestimmtheit und der Höhe nach in einem nach allgemeinen Kriterien bestimmbaren Umfang rechtswidrig ist (so zutreffend von Groll in Gräber, § 100 FGO Rz. 34). Der Umfang der Entscheidung muss derart bestimmt sein, dass nur die bloße Berechnung offen ist. Alle entscheidungserheblichen Rechtsfragen müssen behandelt worden sein (BFH v. 06.03.1990, II R 63/87, BStBl II 1990, 504; BFH v. 24.04.1991, I R 15/90, BFH/NV 1992, 273).
Tz. 13
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die noch erforderliche Berechnung (die rechnerische Ermittlung des Betrags) kann das Gericht dann unterlassen, wenn die auf den festzusetzenden bzw. festzustellenden Betrag bezogenen Ermittlungen einen nicht unerheblichen Aufwand erfordern. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 12/1061) soll das Gericht (nur) einfache Berechnungen selbst vornehmen. Dies entspricht der rein prozessökonomischen Zielsetzung der Vorschrift.
Tz. 14
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Hat das Gericht eine Entscheidung nach § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO gefällt, so hat die Behörde nach § 100 Abs. 2 Satz 3 1. HS FGO den Beteiligten das Ergebnis unverzüglich formlos mitzuteilen und erst nach Rechtskraft den Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt bekannt zu geben (§ 100 Abs. 2 Satz 3 FGO letzter HS). Damit ist nunmehr klargestellt, dass die (formlos mitzuteilende) Berechnung selbst jedenfalls keinen Verwaltungsakt darstellt (BFH v. 18.11.2004, V R 37/03, BStBl II 2005, 217). Daraus folgt, dass die Finanzbehörde die Berechnung nicht mit einem Verwaltungsakt verbinden darf. Der nach Rechtskraft des Urteils mit dem geänderten Inhalt bekannt zu gebende Verwaltungsakt ist nach Ansicht des BFH ein erneut anfechtbarer Verwaltungsakt (BFH v. 04.05.2011, I R 67/10, BFH/NV 2012, 6; BFH v. 08.03.2017, IX R 47/15, BFH/NV 2017, 737), auch wenn der Inhalt und das Ausmaß der Änderung grundsätzlich durch die gerichtliche Entscheidung bestimmt ist. Denn die Tätigkeit der Behörde ist inhaltlich nicht nur auf die Ausführung der Berechnung (insoweit können ihr eigentlich nur Rechenfehler unterlaufen) und formal auf die förmliche Bekanntgabe (nach Eintritt der Rechtskraft) begrenzt. Vielmehr ist im Rahmen des Bescheids und eines ggf. dagegen gerichteten Rechtsbehelfs- und Klageverfahrens auch zu prüfen, ob nach Erlass des Urteils Umstände eingetreten sind, die eine Änderung des neu bekannt zu gebenden VA erfordern. Insoweit hinde...