Tz. 74
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Ein Fall von geringer Bedeutung i. S. des § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO ist anzunehmen, wenn es sich um einen leicht überschaubaren Sachverhalt handelt, die Einkünfte leicht zu ermitteln und nach einfachem Schlüssel auf die Beteiligten zu verteilen sind und die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen bei den Beteiligten gering oder nahezu ausgeschlossen ist (u. a. BFH v. 16.03.2004, IX R 58/02, BFH/NV 2004, 1211 m. w. N.). Das setzt voraus, dass die Höhe des festgestellten Betrages, seine Aufteilung und Zurechnung feststehen (BFH v. 09.02.2005, X R 52/03, BFH/NV 2005, 1235 m. w. N.) und auch ihre rechtliche Beurteilung unstreitig sind. Die Höhe der fraglichen Einkünfte ist dagegen grundsätzlich ohne Bedeutung (Kunz in Gosch, § 180 AO Rz. 109 m. w. N.). Ob es sich um einen Fall von geringer Bedeutung handelt, ist unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Es handelt sich dabei um einen unbestimmten Rechtsbegriff, für die Finanzbehörde besteht daher kein Ermessensspielraum. Kein Fall von geringer Bedeutung liegt vor, wenn eine einheitliche und gesonderte Feststellung für ein Jahr noch innerhalb der für sie geltenden Feststellungsfrist ergehen kann, aber die Festsetzungsfrist der Folgebescheide bereits eingetreten ist und daher durch den Erlass der einheitlichen und gesonderten Feststellung eine einheitliche Steuerfestsetzung in den Folgebescheiden der Feststellungsbeteiligten gesichert wird (BFH v. 12.04.2016, VIII R 24/13, BFH/NV 2016, 1537).
Tz. 75
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Feststellung kann nicht allein deshalb unterbleiben, weil die Beteiligten zusammenveranlagte Eheleute/Lebenspartner sind (BFH v. 16.03.2004, IX R 58/02, BFH/NV 2004, 1211 m. w. N.). Fälle von geringer Bedeutung sind aber z. B. gegeben bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung eines ausschließlich zu – auch teils eigenen, teils anderen – Wohnzwecken genutzten Hauses oder einer Eigentumswohnung von zusammenveranlagten Eheleuten/Lebenspartner(BFH v. 16.03.2004, IX R 58/02, BFH/NV 2004, 1211 m. w. N. und Beispielen) sowie bei gemeinschaftlich erzielten Gewinn von Landwirts-Eheleuten/-Lebenspartner(AEAO zu § 180, Nr. 4 Abs. 1 m. w. N.), sofern ein für die Besteuerung erhebliches Merkmal nicht streitig ist.
Ein Fall von geringer Bedeutung liegt auch vor bei Einkünften aus Mietpools, da der Verwalter nach dem WEG verpflichtet ist, die Werbungskosten nach dem Verhältnis der Miteigentumsanteile zu verteilen (Kunz in Gosch, § 180 AO Rz. 106 m. w. N.), bei Kapitalclubs (Sparclubs) mit Einnahmen aus Kapitalvermögen unter dem jeweils gültigen Sparerfreibetrag für Ledige (FinMin Schleswig-Holstein v. 13.02.2004, DB 2004, 1585). Die Gefahr divergierender Entscheidungen kann auch ausgeschlossen und damit ein Fall von geringer Bedeutung angenommen werden, wenn das FA, das für die ESt-Besteuerung der Gesellschafter zuständig ist, auch für die einheitliche und gesonderte Feststellung zuständig ist (BFH v. 24.03.2011, IV R 13/09, BFH/NV 2011, 1826), es sei denn, es besteht z. B. ein Streit über die Art oder die Ermittlung der Einkünfte oder über die Beteiligungsverhältnisse (BFH v. 09.09.2010, IV R 31/09, BFH/NV 2011, 413).
Tz. 76
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Kein Fall geringer Bedeutung liegt z. B. vor, wenn es um die Frage der Erfassung von Veräußerungsgewinnen, der Berechtigung zur Übertragung stiller Reserven sowie der Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben geht, da dies Fragen sind, die nur für alle an den Einkünften Beteiligten einheitlich zu klären sind und deshalb der Entscheidung durch einen Grundlagenbescheid vorbehalten bleiben müssen (BFH v. 07.11.1996, IV R 72/95, BFH/NV 1997, 574), wenn für die Besteuerung der Beteiligten unterschiedliche FA zuständig sind (BFH v. 10.08.1994, X 2 45/91, BFH/NV 1995, 387), wenn Eheleute/Lebenspartnergemeinsam eine Arztpraxis mit erheblichen Betriebseinnahmen betreiben, von denen sie rd. 50 % als Betriebsausgaben abziehen (FG MV v. 29.10.1996, 1 K 52/96, EFG 1997, 138), wenn die Feststellung unterschiedliche Bindungswirkung entfaltet, z. B. gegenüber dem einen Feststellungsbeteiligten für die ESt-Veranlagung und gegenüber dem anderen Feststellungsbeteiligten, der den Anteil im Sonderbetriebsvermögen einer Anwaltsgemeinschaft hält, für ein Feststellungsverfahren (BFH v. 09.10.2008, IX R 72/07, BStBl II 2009, 231 m. w. N.) oder wenn die Zuordnung der Einkünfte zu einer Einkunftsart streitig ist (BFH v. 15.04.2010, IV R 58/07, BFH/NV 2010, 1785).
Tz. 77
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Regelung gilt auch für die gesonderten Feststellungen nach § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b AO und § 180 Abs. 1 Nr. 3 AO (AEAO zu § 180, Nr. 4 Abs. 2; BFH v. 24.03.2011, IV R 13/09, BFH/NV 2011, 1826). Für die gesonderte Feststellung von Einheitswerten enthält § 19 Abs. 4 BewG eine ähnliche, wenn auch striktere Vorschrift: EW-Feststellungen erfolgen nur, wenn und soweit sie für die Besteuerung von Bedeutung sind.
Tz. 78
Stand: 22. Auflag...