Tz. 12
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens sind Vollstreckungsmaßnahmen eines einzelnen Gläubigers gegen den Schuldner nicht mehr zulässig. Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen sind während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig (§ 89 InsO).
Tz. 13
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Darüber hinaus wird die Sicherung eines Insolvenzgläubigers unwirksam, wenn er die Sicherung an dem zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögen – erst – im letzten Monat – in den Fällen der Verbraucherinsolvenz nach § 304 InsO in den letzten drei Monaten – vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag aber vor Eröffnung erlangt hat (§ 88 InsO; sog. Rückschlagsperre).
Tz. 14
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Dementsprechend hat die Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch für die Geltendmachung von Steueransprüchen gravierende Folgen. Zu beachten ist indes, dass je nach rechtlicher Einordnung des Steueranspruchs sehr unterschiedliche Rechtsfolgen bestehen. Zu unterscheiden ist zwischen insolvenzfreien Forderungen, Masseverbindlichkeiten, aufschiebend bedingten Masseverbindlichkeiten – nach Einführung des § 55 Abs. 4 InsO – Steueransprüchen, für die eine abgesonderte Befriedigung möglich ist, Steueransprüchen, die gegen eine zur Insolvenzmasse gehörende Forderung aufgerechnet werden können, Insolvenzforderungen und nachrangige Insolvenzforderungen. Die Abgrenzung richtet sich nach dem Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen Begründung. Auf die steuerliche Entstehung der Forderung und deren Fälligkeit kommt es nicht an (BFH v. 24.08.2011, V R 53/09, BStBl II 2012, 256).
Tz. 15
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Insolvenzfreie Forderungen sind Steueransprüche, die der (Gemein)Schuldner nach der Insolvenzeröffnung begründet. Derartige Forderungen resultieren aus nicht massebezogenen Tätigkeiten oder Rechtsgeschäften des Schuldners nach der Insolvenzeröffnung. Sie sind außerhalb des Insolvenzverfahrens gegenüber dem Schuldner geltend zu machen (BFH v. 16.07.2015, III R 32/13, BStBl II 2016, 251; BFH v. 01.06.2016, X R 26/14, BStBl II 2016, 848; Werth in Klein, § 251 AO Rz. 15 f.; AEAO zu § 251, Nr. 7).
Tz. 16
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Masseverbindlichkeiten (AEAO zu § 251, Nr. 6) sind
- Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören,
- Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen, soweit deren Erfüllung zur Insolvenzmasse verlangt wird oder für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss, und
- Verbindlichkeiten aus einer ungerechtfertigten Bereicherung (BFH v. 29.01.2009, V R 64/07, BStBl II 2009, 682; BFH v. 30.04.2009, V R 1/06, BStBl II 2010, 138; BFH v. 18.05.2010, X R 60/08, BFH/NV 2010, 1685).
Sie sind vorweg zu begleichen (§ 53 InsO). Verbindlichkeiten, die von einem starken vorläufigen Insolvenzverwalter (s. Rz. 25) begründet worden sind, galten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens seit jeher als Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 2 Satz 1 InsO). Gemäß § 55 Abs. 4 InsO gelten Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nunmehr auch dann als Masseverbindlichkeiten, wenn – wie meist – lediglich ein schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt worden ist (dazu Uhländer, AO-StB 2011, 84 ff.; Loose in Tipke/Kruse, § 251 AO Rz. 70a ff.). Steuerschuldner der Masseverbindlichkeit ist der Gemeinschuldner. Vollstreckungsschuldner ist jedoch der Insolvenzverwalter. Er ist auch Adressat der Steuerfestsetzung, mit der das FA den Steueranspruch festsetzt (BFH v. 24.08.2011, V R 53/09, BStBl II 2012, 256; BFH v. 16.07.2015, III R 32/13, BStBl II 2016, 251; BFH v. 01.06.2016, X R 26/14, BStBl II 2016, 848; Loose in Tipke/Kruse, § 251 AO Rz. 71). Die Vollstreckung erfolgt außerhalb des Insolvenzverfahrens in die Insolvenzmasse. Es gelten die allgemeinen Vollstreckungsvorschriften gem. §§ 249ff. AO.
Tz. 17
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Typische Masseverbindlichkeiten sind z. B. Umsatzsteuerschulden auf Umsätze nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens (BFH v. 30.04.2009, V R 1/06, BStBl II 2010, 138), Einkommensteuer bzw. Körperschaftsteuerschulden, die auf Einkünften aus der Verwaltung oder Verwertung der Masse beruhen, Gewerbesteuerschulden bei Weiterführung des Gewerbebetriebs durch den Insolvenzverwalter und Lohnsteuerschulden auf nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgezahlte Arbeitslöhne. Die einheitliche ESt-Schuld ist ggf. in eine Insolvenzforderung, eine Masseforderung und eine insolvenzfreie Forderung aufzuteilen (BFH v. 18.05.2010, I R 60/08, BFH/NV 2010, 1685).
Tz. 18
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Steuerforderungen, für die das FA eine abgesonderte Befriedigung nach §§ 49ff. InsO verlangen kann,...