1. Anfechtbarkeit bei Rechtswidrigkeit
Tz. 61
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Schätzungen nach § 162 AO sind nicht schon deswegen rechtswidrig, weil sie von den tatsächlichen Verhältnissen abweichen. Abweichungen sind im Rahmen einer Schätzung i. d. R. immanent. Der Schätzungsbescheid ist rechtswidrig, wenn die Schätzung den durch die Umstände des Einzelfalles gezogenen Schätzungsrahmen verlässt (BFH v. 28.07.2015, VIII R 2/09, BStBl II 2016, 447). Daraus folgt aber regelmäßig lediglich die Anfechtbarkeit der Schätzungsveranlagung, nicht aber ihre Nichtigkeit. Das gilt auch bei groben Schätzungsfehlern, die auf einer Verkennung der tatsächlichen Gegebenheiten oder der wirtschaftlichen Zusammenhänge beruhen (BFH v. 20.12.2000, I R 50/00, BStBl II 2001, 381; s. § 125 AO Rz. 4), bei einer Mehrzahl von groben Schätzungsfehlern (BFH v. 01.10.1992, IV R 34/90, BStBl II 1993, 259), bei weit überhöhtem Schätzungsergebnis (FG Köln v. 18.09.1996, 12 K 780/96, EFG 1997, 382).
2. Nichtigkeit
Tz. 62
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Schriftliche Steuerbescheide müssen inhaltlich hinreichend bestimmt sein, anderenfalls sind sie nichtig; das erfordert u.a. die Bezeichnung der festgesetzten Steuer nach Art und Betrag (§ 157 Abs. 1 AO). Zur Schätzung mehrerer Einzelzuwendungen zusammengefasst in einem Schenkungsteuerbescheid s. BFH v. 30.08.2017, II R 46/15, BFH/NV 2018, 125. Grobe Schätzungsfehler bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen führen regelmäßig nur zur Rechtswidrigkeit. Nichtigkeit ist nach der Rechtsprechung allenfalls anzunehmen, wenn sich das FA nicht nach dem Auftrag des § 162 Abs. 1 AO an den wahrscheinlichen Besteuerungsgrundlagen orientiert, sondern bewusst und willkürlich zum Nachteil des Stpfl. geschätzt hat (BFH v. 15.07.2014, X R 42/12, BFH/NV 2015, 145). Willkürmaßnahmen, die mit den Anforderungen an eine ordnungsmäßige Verwaltung schlechterdings nicht zu vereinbaren sind, können einen besonders schweren Fehler i. S. des § 125 Abs. 1 AO abgeben (h. M., u. a. BFH v. 20.12.2000, I R 50/00, BStBl II 2001, 381 m. w. N.; BFH v. 30.08.2007, II B 90/06, BFH/NV 2008, 13 zum graduellen Unterschied zwischen einem besonders schwerwiegenden Fehler i. S. des § 125 Abs. 110 und einem groben Schätzungsfehler i. S. der Rspr.; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 99 m. w. N.; von Wedelstädt, AO-StB 2002, 275 mit Beispielen; s. § 125 AO Rz. 4). Das ist der Fall, wenn das Schätzungsergebnis trotz vorhandener Möglichkeiten, den Sachverhalt aufzuklären und Schätzungsgrundlagen zu ermitteln, krass von den tatsächlichen Gegebenheiten abweicht und in keiner Weise erkennbar ist, dass überhaupt und ggf. welche Schätzungserwägungen angestellt wurden (u. a. BFH v. 20.12.2000, I R 50/00, BStBl II 2001, 381; von Wedelstädt in Gosch, § 125 AO Rz. 17 m. w. N.).