Tz. 11
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Vorschrift enthält eine Regelung der allgemeinen Steueraufsicht. Die Fahndung kann auch ohne den Verdacht einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit ermittelnd tätig werden, wenn dies der Aufklärung unbekannter Steuerfälle (Aufdeckung und Ermittlung) im Besteuerungsverfahren dient (sog. Vorfeldermittlungen; s. Seer in Tipke/Kruse, § 208 AO Rz. 27; AEAO zu § 208, Nr. 1. a)). Das umfasst Nachforschungen sowohl nach unbekannten Stpfl. als auch nach bisher unbekannten steuerlichen Sachverhalten (BFH v. 16.07.2002, IX R 62/99, BStBl II 2003, 74 m. w. N.). Dazu gehören auch Kontrollbesuche (BFH v. 22.12.2006, VII B 121/06, BStBl II 2009, 839).Die Steuerfahndung kann dieser Aufgabe gleichzeitig auch gelegentlich ihrer Tätigkeit im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO nachkommen (BFH v. 29.06.2005, II R 3/04, BFH/NV 2006, 1). Die Ermittlungen setzen keinen strafrechtlichen Anfangsverdacht, aber einen hinreichenden Anlass für das Tätigwerden voraus. Ein solcher liegt vor, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte (z. B. wegen der Höhe des Wertes oder der Besonderheit des Objekts) oder aufgrund allgemeiner Erfahrungen oder auch konkreter Erfahrungen für bestimmte Gebiete die Möglichkeit einer Steuerverkürzung in Betracht kommt und daher eine Anordnung bestimmter Art angezeigt ist. Die allgemeine, nach der Lebenserfahrung gerechtfertigte Vermutung, dass Steuern nicht selten verkürzt und steuerpflichtige Einnahmen nicht erklärt werden, genügt nicht. Ermittlungen "ins Blaue hinein" wie Rasterfahndungen, Ausforschungsdurchsuchungen oder ähnliche Ermittlungsmaßnahmen sind nicht zulässig (u. a. BFH v. 16.05.2013, II R 15/12, BStBl II 2014, 225 m. w. N.). Ein hinreichender Anlass ist gegeben, wenn bei Betriebsprüfungen Steuerverkürzungen aufgedeckt worden sind, die durch einen bestimmten für die Berufsgruppe typischen und die Möglichkeit einer Steuerverkürzung begünstigenden Geschäftsablauf, der auch bei anderen Stpfl. gleicher Betätigungsart so gegeben sein könnte, begünstigt worden sind. Derartige Vorfeldermittlungen sind auch gegenüber Dritten ohne unmittelbare Geschäftsbeziehungen zu den potenziellen Steuerverkürzern gerechtfertigt und setzen nicht voraus, dass deren Verhalten im Geschäftsverkehr eine mögliche Steuerhinterziehung irgendwie begünstigt, noch dass eine "irgendwie geartete auffällige Beziehung" zu möglichen Steuerhinterziehern besteht. Eine nur geringe Anzahl bereits festgestellter Steuerverkürzungen allein steht dann der Aufnahme von Vorfeldermittlungen nicht entgegen (BFH v. 05.10.2006, VII R 63/05, BStBl II 2007, 155). Die Einschränkungen des § 93 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 2 AO und des § 97 Abs. 2 AO gelten nach § 208 Abs. 1 Satz 3 AO in diesem Verfahren nicht, wenn die Steuerfahndung im Rahmen ihrer Aufgaben nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 AO tätig wird (BFH v. 16.05.2013, II R 15/12, BStBl II 2014, 225). Über die Rechte und Pflichten des Stpfl. bei Prüfungen nach § 208 Abs. 1 Nr. 3 AO unterrichtet ein entsprechendes Merkblatt (BMF v. 13.11.2013, BStBl I 2013, 1458).
Tz. 11a
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO wird neben § 208 Abs. 2 Nr. 1 AO auch als Grundlage für den sog. Flankenschutz herangezogen, bei dem außer Angehörigen der Festsetzungs-FA auch Fahndungsprüfer zur Überprüfung steuerlicher Sachverhalte "vor Ort" eingesetzt werden. In diesem Zusammenhang sind auch sog. Kontrollbesuche im Besteuerungsverfahren grundsätzlich zulässig (dazu ausführlich Roth, StBW 2013, 320). Allerdings dürfte in vielen Fällen die Voraussetzung für den Einsatz von Flankenschutzfahndern, nämlich der hinreichende Anlass, fehlen (s. Beyer, NWB 2013, 1733; a. A. Roth, StBW 2013, 320 m. w. N.). Jesse (DB 2013, 1803, 1807 m. w. N.) hält den Einsatz von Steuerfahndern für ermessenswidrig.
Tz. 11b
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Steuerfahndung kann nach h. M. im Besteuerungsverfahren eine USt-Nachschau (§ 27b UStG) durchführen, soweit sie sich gezielt auf umsatzsteuerliche Besteuerungsgrundlagen richtet (Beyer, AO-StB 2013, 159 m. w. N.).
Tz. 12
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Das Ermittlungsverfahren richtet sich nach der AO (§ 85 AO, §§ 90ff. AO). Die Fahnder können z. B. die Inaugenscheinnahme durchführen und dazu Grundstücke etc. betreten (BFH v. 22.12.2006, VII B 121/06, BStBl II 2009, 839). Zu den Ermittlungsmaßnahmen der Steuerfahndung gehören u. a. auch Sammelauskunftsersuchen i. S. des § 93 Abs. 1a AO, die sich auf eine ihr unbekannte Anzahl von Sachverhalten mit dem Grunde nach bestimmbaren, ihr noch nicht bekannten Personen richten (u. a. BFH v. 16.05.2013, II R 15/12, BStBl II 2014, 225 m. w. N.; AEAO zu § 93, Nr. 1.2.5; s. § 93 AO Rz. 5 ff.). Sie fußen auf § 93 Abs. 1 Satz 1 AO, ohne dass die Einschränkungen des § 93 Abs. 1 Satz 3 AO (Subsidiarität der Befragung Dritter), des § 93 Abs. 2 Satz 2 AO (Schriftform) und des § 97 Abs. 2 AO (Vorlage von Urkunden) zu beachten sind (§ 208 Abs. 1 Satz 3 AO; s....