1. Einspruchsverfahren
Tz. 63
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Schätzungsbescheide – Steuerbescheide wie Feststellungsbescheide – können mit dem Einspruch angefochten werden (§ 347 Abs. 1 Nr. 1 AO). Dies gilt auch, wenn der Schätzungsbescheid nichtig ist. In der Abgabe der Steuererklärung, die zu einer niedrigeren Steuer führt, innerhalb der Einspruchsfrist ist ein Einspruch und kein Antrag auf schlichte Änderung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AO zu sehen (BFH v. 27.02.2003, V R 87/01, BStBl II 2003, 505; h. M. in Lit., s. von Wedelstädt in Gosch, § 172 AO Rz. 151 m. w. N.). Auch im Einspruchsverfahren kann, ggf. muss das FA unaufklärbare Besteuerungsgrundlagen schätzen. Vorläufiger Rechtsschutz kann durch AdV nach § 361 AO bzw. § 69 FGO gewährt werden.
Tz. 64
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Im Einspruchsverfahren muss der Stpfl. Einwendungen erheben, aus denen sich ergibt, dass die Schätzung unzulässig war oder dass, im Falle ihrer Zulässigkeit, ein anderes als das geschätzte Ergebnis wahrscheinlicher ist; dazu kann er andere Schätzungsmethoden anwenden als das FA.
Tz. 65
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Im Einspruchsverfahren kann das FA dem Stpfl. zur Begründung des Einspruchs, insbes. zur Abgabe der Steuererklärung nach § 364b AO eine ausschließende Frist setzen (AEAO zu § 364b, Nr. 1 Satz 2), nach deren fruchtlosem Ablauf später vorgebrachte Erklärungen und Beweismittel automatisch unberücksichtigt bleiben (dazu von Wedelstädt, AO-StB 2002, 200 m. w. N.). Ist die Schätzungsveranlagung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung durchgeführt worden, hat das FA diesen spätestens mit der Fristsetzung aufzuheben (AEAO zu § 364b, Nr. 2 Satz 3).
2. Finanzgerichtliches Verfahren
Tz. 66
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Im Klageverfahren ist die Schätzung voll nachprüfbar. Das FG hat im Klageverfahren eine eigene Schätzungsbefugnis (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. § 162 AO; s. BFH v. 12.09.2001, VI R 72/97, BStBl II 2001, 775). Das FG darf seine Wahrscheinlichkeitsüberlegungen an die Stelle der des FA stellen, ohne deshalb die Schätzung des FA als rechtsfehlerhaft einstufen zu müssen (BFH v. 17.10.2001, I R 103/00, BStBl II 2004, 171). Es ist an die Schätzungsmethode, die das FA eingesetzt hat, nicht gebunden (BFH v. 23.04.2015, V R 32/14, BFH/NV 2015, 1106), es kann sich zur Überprüfung anderer Schätzungsmethoden als das FA bedienen.
Tz. 67
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Ist die Schätzung wegen Nichtabgabe der Steuererklärung durchgeführt worden, darf das FG den Steuerbescheid nicht ohne Entscheidung in der Sache aufheben und der Finanzbehörde die weitere Ermittlung auferlegen (§ 100 Abs. 3 Satz 2 FGO). Es muss vielmehr von seiner eigenen Schätzungsbefugnis Gebrauch machen (BFH v. 18.05.1999, I R 102/98, BFH/NV 1999, 1492). Zu Recht wird gegen diese Regelung eingewandt, dass dadurch dem FG umfangreiche Ermittlungen aufgelastet werden, die dem säumigen Stpfl. zusätzlichen Aufschub gewähren können (s. § 100 FGO Rz. 17; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 94 m. w. N.).
Tz. 68
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Da es sich bei der vom FG durchgeführten Schätzung um eine Tatsachenentscheidung handelt, ist der BFH im Revisionsverfahren daran gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO), sofern die Schätzung nicht auf einem Rechtsirrtum oder Verfahrensmangel beruhen (§ 118 Abs. 2 FGO). Der BFH kann die Schätzung eines FG nur darauf überprüfen, ob sie zulässig war und ob das FG anerkannte Schätzungsgrundsätze, Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze beachtet hat, d. h. ob das Ergebnis der Schätzung schlüssig und plausibel ist. Er darf eine eigene "richtigere" Schätzung nicht an die Stelle der Schätzung des FG setzen (BFH v. 15.09.2004, I R 7/02, BStBl II 2005, 867).