Karl Blesinger, Dr. Andreas Viertelhausen
Gehm, Der Tatbestand der Steuerhinterziehung im Licht des Rechts der EU, NZWiSt 2013, 53;
Seer, Das Delikt der Steuerhinterziehung im Kernbereich des Steuerstrafrechts, StStud 2016, 35.
Tz. 1
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Steuerhinterziehung ist der zentrale Straftatbestand des Steuerstrafrechts. Es handelt sich um eine abschließende Sonderregelung, die den Betrugstatbestand (s. § 263 StGB) verdrängt (BGH v. 23.03.1994, 5 StR 91/94, wistra 1994, 194; BGH v. 27.09.2002, 5 StR 97/92, wistra 2003, 20; BGH v. 06.06.2007, 5 StR 127/07, NJW 2007, 1864: ebenso Computerbetrug nach § 263a StGB; offen gelassen wegen der landesrechtlich geregelten Nichtanwendbarkeit des § 370 AO auf die Verkürzung von Kirchensteuern s. BGH v. 17.04.2008, 5 StR 547/07, wistra 2008, 310; Anm. Schützeberg, wistra 2009, 31). Im Gegensatz zur Hinterziehung, die als Vergehen mit krimineller Strafe bedroht ist, steht die leichtfertige Steuerverkürzung (s. § 378 AO), die als Ordnungswidrigkeit eine Geldbuße zur Folge hat. Diese Verfehlung erfordert kein wissentliches Handeln, obwohl die vorausgesetzte Leichtfertigkeit die Grenze zum (bedingten) Vorsatz manchmal hart streift. Man kann die leichtfertige Steuerverkürzung im Verhältnis zu Steuerhinterziehung als Auffangtatbestand bezeichnen (BGH v. 13.01.1988, 3 StR 450/87, wistra 1988, 196). Zu unterscheiden von der Steuerhinterziehung sind weiter die bloßen Gefährdungsdelikte (s. §§ 379 bis 382 AO), denen ein steuerverkürzender Effekt nur tendenziell innewohnt, sodass man sie als Unrechtshandlungen im Vorfeld der Verkürzungsdelikte bezeichnen kann. Auch sie stellen nur Ordnungswidrigkeiten dar. Die schuldhafte Nichtabführung der Umsatzsteuer nach § 26b UStG ist ebenfalls eine Ordnungswidrigkeit, die anders als § 370 AO nicht das Erklärungsverhalten, sondern das Zahlungsverhalten des Steuerpflichtigen zum Gegenstand hat. Geschieht die schuldhafte Nichtabführung der USt gewerbs- oder bandenmäßig, ist sie nach § 26c UStG strafbar.
Tz. 2
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Das Schutzgut ist der Anspruch des Steuergläubigers auf den vollen Ertragder einzelnen Steuer, d. h. das öffentliche Interesse am rechtzeitigen und vollständigen Aufkommen bestimmter einzelner Steuern (st. Rspr. BGH v. 25.10.2000, 5 StR 399/00, wistra 2001, 22; BGH v. 02.12.2008, 1 StR 416/08, BStBl II 2009, 934). Objekt der Tathandlung ist der abstrakte durch Verwirklichung des gesetzlichen Steuertatbestandes ausgelöste Steueranspruch (s. § 38 AO). Durch eine der drei in § 370 Abs. 1 AO genannten Tathandlungen oder Unterlassungen muss ein Taterfolg verursacht werden (Erfolgsdelikt). Insoweit nimmt § 370 AO als Blankettnorm Bezug auf das formelle und materielle Steuerrecht nach der AO und den anderen Steuergesetzen (s. Rz. 23 ff.).
Tz. 3
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Gegenstand der Steuerhinterziehung in ihren verschiedenen Erscheinungsformen können nur Steuern sein, also nicht andere Geldleistungen, die aufgrund der Steuergesetze geschuldet werden (s. § 3 Abs. 4 AO). Steuern sind auch die Einfuhr- und Ausfuhrabgaben nach Art. 5 Nr. 20 und 21 UZK (s. § 3 Abs. 3 AO). Die Verkürzung von Abgaben, die nicht Steuern sind, ist nur nach Maßgabe von Straftatbeständen des einschlägigen Abgabengesetzes strafbar, z. B. des Branntweinmonopolgesetzes. Die Verkürzung Zuschlägen (s. §§ 152, 240 AO), Zwangsgeldern (s. § 329 AO) und Kosten (s. §§ 89, 178, 178a, 337 bis 345 AO) fällt nicht in den Bereich der Steuerhinterziehung (BGH v. 19.12.1997, 5 StR 569/96, NJW 1998, 1568). Mangels Aufnahme der steuerlichen Nebenleistungen in den Tatbestand der Steuerhinterziehung ist ihre Verkürzung nicht strafbar. Auch eine Strafbarkeit wegen Betrugs (s. § 263 StGB) scheidet aus, sofern der Zweck der Nebenleistung über einen bloßen Vermögensanspruch hinausgeht (zu den Säumniszuschlägen als Druckmittel eigener Art: BGH v. 19.12.1997, aaO). Etwas anderes gilt für Zinsen (s. §§ 233 bis 239 AO), weil § 239 Abs. 1 Satz 1 AO für diese auf die für die Steuern geltenden Vorschriften verweist und deren Höhe gesetzlich geregelt ist (BFH v. 06.06.2007, 5 StR 127/07, NJW 2007, 2864).
Tz. 4
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 370 AO ist kein Schutzgesetz i. S. des § 823 Abs. 2 BGB (BFH v. 24.10.1996, VII R 113/94 BStBl II 1997, 308; BFH v. 19.08.2008, VII R 6/07, BStBl II 2008, 947), doch kann ein Verstoß gegen die Vorschrift unter den Voraussetzungen der §§ 69, 71 AO die Haftung des Täters oder Teilnehmers auslösen.