Karl Blesinger, Dr. Andreas Viertelhausen
Tiedemann, Europäisches Gemeinschaftsrecht und Strafrecht, NJW 1993, 23;
Kemper, Umsatzsteuerkarusselle, NStZ 2006, 593;
Hentschel, Braucht die Steuerfahndung noch den § 370 Abs. 6 Sätze 2, 3?, DStR 2009, 1076;
Tully/Merz, Zur Strafbarkeit der Hinterziehung ausländischer Umsatz- und Verbrauchsteuern nach der Änderung des § 370 Abs. 6 AO im JStG 2010, wistra 2011, 121.
Tz. 122
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Verkürzung ausländischer Steuern ist nach deutschem Recht grundsätzlich nicht strafbar. Mangels nationalen Souveränitätsverzichts im Rahmen der Vertragsschlüsse zur Errichtung der Europäischen Union, existiert kein Gemeinschaftsstrafrecht (Tiedemann,NJW 1993, 23). Folglich sind die Mitgliedsstaaten mit ihrem nationalen Straf- und Bußgeldsystem befugt, Straftaten zu ahnden. Dass es dabei zu unterschiedlichen Behandlungen von Steuerstraftaten kommt, ist nicht zu vermeiden (EuGH v. 21.09.1989, Rs 68/88 Kommission/Griechenland, NJW 1990, 2245).
Tz. 122a
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 370 Abs. 5 AO stellt klar, dass eine Steuerverkürzung im Zusammenhang mit Einfuhr-, Ausfuhr oder Durchfuhrabgaben auch dann strafbar ist, wenn die Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr der Waren, auf die sich die Abgaben beziehen, verboten ist.
Tz. 122b
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Nach § 370 Abs. 6 Satz 1 AO ist die Hinterziehung von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben (s. § 3 Abs. 3 AO und Art. 5 Nr. 20 UZK), die von einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaften verwaltet werden oder die einem Mitgliedsstaat der Europäischen Freihandelszone (EFTA) oder die einem mit dieser assoziierten Staat zustehen, strafbar (BGH v. 25.09.1990, 3 StR 8/90, wistra 1991, 299; BGH v. 30.10.2003, 5 StR 274/03, wistra 2004, 63). In diesen Fällen muss das Recht dieser Staaten als blankettausfüllende Norm festgestellt werden (BGH v. 19.04.2007, 5 StR 549//06, NStZ 2007, 595; BGH v. 19.08.2009, 1 StR 314/09, wistra 2010, 30). Es kommt hier nicht darauf an, ob der betroffene Staat die Tat ebenfalls als strafbare Hinterziehung ahndet (OLG Stuttgart v. 30.10.1987, 1 Ss 466/87, wistra 1988, 90).
Tz. 123
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Der Geltungsbereich des § 370 AO erstreckt sich auch auf Taten, die sich auf die Umsatzsteuer sowie die harmonisierten Verbrauchssteuern für die in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008/118/EWG des Rates vom 16.12.2008 (s. ABl. Nr. 9 v. 14.1.2009 S. 12) genannten Waren beziehen, die von einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union verwaltet werden (s. § 370 Abs. 6 Satz 2 AO). Das unionsrechtliche Verbrauchsteuersystem geht davon aus, dass verbrauchsteuerpflichtige Waren im Ergebnis nicht mit den Verbrauchsteuern mehrerer Staaten belastet sein dürfen (BGH v. 02.02.2010, 1 StR 635/09, wistra 2010, 226, 227). Insoweit verbleibt bei Durchleitung von Tabakwaren durch mehrere Mitgliedsstaaten dem Erstverfolgungsstaat nach Maßgabe des § 370 Abs. 6 AO eine Wahlmöglichkeit, welche nationale Verbrauchsteuer er als Anknüpfungspunkt für die Strafverfolgung heranziehen will. Die Singularität des Erhebungsrechts schließt es aber aus, dass einem an einer Verbrauchsteuerhinterziehung Beteiligten im Erstverfolgungsstaat darüber hinaus auch die Hinterziehung von Verbrauchsteuern aller anderen betroffenen Mitgliedsstaaten vorgeworfen werden kann (BGH v. 14.10.2015, 1 StR 521/14, wistra 2016, 74).
Tz. 123a
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Bis zum Inkrafttreten des BeitrRLUmsG v. 7.12.2011 zitierte § 370 Abs. 6 AO noch die RL 92/12/EWG obgleich diese bereits zum 01.04.2010 durch die Richtlinie 2008/118/EG vom 16.12.2008 ersetzt wurde. Dennoch soll § 370 Abs. 6 AO auch für die Zwischenzeit hinreichend bestimmt i. S. von Art 103 Abs. 2 GG sein, weil das geschützte Rechtsgut, nämlich die Verbrauchsteuern auf Waren, selbst bezeichnet wurde (BGH v. 20.11.2013, 1 StR 544/13, wistra 2014, 145; Tully/Merz wistra 2011, 121, 126). Voraussetzung für eine Verfolgung war bis 2010 die gegenseitige Verbürgung der Strafverfolgung und deren Feststellung in einer Rechtsverordnung. Diese in § 370 Abs. 6 Sätze 3 und 4 AO a. F. enthaltene Beschränkung ist entfallen, weil die Gegenseitigkeit mit keinem Staat verbürgt war, wodurch sich Strafbarkeitslücken ergaben (BR-Drs. 318/10, 145). Es wird vertreten, die entfallene Gegenseitigkeitsverbürgung habe Rückwirkung, weil es sich um eine Verfahrensvoraussetzung und keine objektive Bedingung der Strafbarkeit gehandelt habe (Tully/Merz wistra 2011, 121, 126). Eine Doppelbestrafung in mehreren Staaten (s. Verbot der Doppelbestrafung nach dem Schengener Übereinkommen v. 19.06.1990, BAnz 90 Nr. 217a) ist nicht zulässig (BGH 13.05.1997, 5 StR 596/96, HFR 1998, 131; EuGH – 1. Kammer v. 28.09.2006, C-467/04, NStZ 2007, 408; EuGH – 1. Kammer v. 18.07.2007, C-288/05, NJW 2007, 3412). Der BGH empfiehlt die Verfolgung solcher Taten nach §§ 154, 154a StPO auf die verkürzten Zölle und deutsche Verbrauchsteuern zu beschränken (BGH v. 09.07.2011, 1 StR 21/11, wistra 2011, 348).
Tz. 124
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Durch § 370 Ab...