Katharina Wagner, Dr. Klaus J. Wagner
Tz. 8
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Rechtsmittels gehört weiter das Vorliegen einer Beschwer des Rechtsmittelführers durch die angegriffene Entscheidung des FG. Formelle Beschwer liegt vor, wenn die angegriffene Entscheidung dem Begehren des Rechtsmittelführers nicht (voll) entsprochen hat, ihm also weniger gewährt hat, als er beantragt hatte. Materiell beschwert ist ein Beteiligter, wenn die Entscheidung ihrem Inhalt nach für ihn nachteilig ist, wobei es nicht auf etwa in der Vorinstanz gestellte Anträge ankommt.
Hat der Kläger bzw. Antragsteller gegen die auf sein Rechtsschutzbegehren hin ergangene Entscheidung Rechtsmittel eingelegt, so setzt die Zulässigkeit dieses Rechtsmittels voraus, dass er formell durch die angegriffene Entscheidung beschwert ist. Bei einer Klagerücknahme fehlt es an einer Beschwer (BFH v. 23.08.2006, IV B 114/05, BFH/NV 2007, 66; BFH v. 04.04.2008, IV R 91/06, BFH/NV 2008, 1298); ebenso, wenn der Erfolg des Stpfl. im Klageverfahren in nur einem von mehreren Streitpunkten bewirkt, dass die ESt auf 0,– EUR herabgesetzt wird (BFH v. 15.05.2013, X R 27/11, BFH/NV 2013, 1583). Allerdings ist eine Beschwer gegeben, wenn das FG die Klage bzw. einen Antrag ganz oder teilweise ab- bzw. zurückgewiesen hat, wenn das FG nur dem Hilfsantrag, nicht aber dem Hauptantrag stattgegeben hat (s. z. B. BFH v. 07.08.1979, VIII R 153/77, BStBl II 1980, 181; BFH v. 03.11.1998, I B 58/98, BFH/NV 1999, 939), und wenn der Stpfl. seine Steuerpflicht dem Grunde nach bestreitet (BFH v. 22.06.2016, V R 49/15, BFH/NV 2016, 1754). Hingegen fehlt es an einer formellen Beschwer, wenn das FG dem Begehren aus anderen als den zu seiner Begründung vorgetragenen Gründen stattgegeben hat, es sei denn, dass der Urteilsbegründung des FG bindende Wirkung für zukünftige Veranlagungen derselben Steuerart oder anderer Steuerarten zukommt (BFH v. 01.02.1983, VIII R 30/80, BStBl II 1983, 534). Die Beschwer fehlt auch, wenn der Revisionsführer mit der Revision über das erstinstanzliche Begehren hinausgehen will (BFH v. 27.07.1993, X R 32/91, BFH/NV 1994, 305).
Auf das Vorliegen einer materiellen Beschwer ist für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels des Beklagten, also in der Regel der Finanzbehörde, aber auch z. B. der Familienkasse in Kindergeldsachen, abzustellen (s. BFH v. 15.11.1971, GrS 7/70, BStBl II 1972, 120; BFH v. 10.07.1997, V R 94/96, BStBl II 1997, 707). Dasselbe gilt hinsichtlich eines Rechtsmittels eines Beigeladenen (§ 60 Abs. 1, 3 FGO): Beschwer ist in diesem Fall schon dann gegeben, wenn der Beigeladene materiell beschwert ist, dazu reicht entsprechend § 60 FGO, dass er durch das Urteil in seinen rechtlichen Interessen berührt wird (BFH v. 07.12.1999, VIII R 26/94, BStBl II 2000, 300; BFH v. 17.09.2015, III R 49/13, BStBl II 2017, 37).
Soweit es sich um das Rechtmittel der Beschwerde (§ 128 Abs. 1 FGO) handelt, gelten diese Grundsätze zum Erfordernis der Beschwer in gleichem Maße.