1. Amtliche Ermittlungspflicht; Bindung an das Klagebegehren (Dispositionsmaxime)
Tz. 50
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Das Verfahren vor den FG wird vom Amtsermittlungsgrundsatz (Untersuchungsgrundsatz) getragen. Die Untersuchung der für die Entscheidung maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse ist Aufgabe des Gerichtes (§ 76 FGO); dieses bestimmt auch, ob und welche Beweise zu erheben sind; eine materielle Beweislast (entsprechend § 282 ZPO) besteht grds. nicht, sondern im Fall der Nichterweislichkeit von entscheidungserheblichen Tatsachen eine objektive Feststellungslast also Folge den Verfahrensbeteiligten durch § 76 Abs. 1 Satz 2 FGO auferlegten Mitwirkungspflicht (dazu s. § 76 FGO Rz. 6 ff.).
Tz. 51
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Im Finanzprozess gilt die Dispositionsmaxime (der Verfügungsgrundsatz). Das bedeutet, das FG wird nicht von Amts wegen tätig, sondern der Kläger bestimmt das "Streitprogramm" (Lüke, JuS 1961, 41, 43) mit der Klageerhebung; er kann die Klage auch wieder zurücknehmen (§ 72 FGO). Dabei ist das Gericht an das Klagebegehren gebunden. Der Kläger braucht einerseits nicht damit zu rechnen, dass er nicht mit einer Änderung der angefochtenen Verfügung zu seinem Nachteil (keine Verböserung). Andererseits kann er nicht erwarten, dass ihm – selbst wenn das gerechtfertigt wäre – vom Gericht mehr zugesprochen wird, als er mit der Klage begehrt (§ 96 Abs. 2 Satz 2 FGO: ne ultra petita partium). Dies schließt nach der st. Rspr. des BFH nicht aus, dass das FG innerhalb des durch den festgesetzten Steuerbetrag und den Klageantrag gesteckten Rahmens einzelne Besteuerungsgrundlagen gemessen am angefochtenen Steuerbescheid ungünstiger beurteilt (sog. Saldierungstheorie; grundlegend BFH v. 17.07.1967, GrS 1/66, BStBl II 1968, 344; im Übrigen z. B. BFH v. 13.05.1989, III R 184/86, BStBl II 1989, 846).
2. Grundsatz des rechtlichen Gehörs, der Mündlichkeit und der Öffentlichkeit
Tz. 52
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Das Verfahren vor den FG und dem BFH, wie es in der FGO geregelt ist, enthält eine lückenlose Durchführung des Grundsatzes der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in allen Verfahrensstadien (§§ 60, 71, 75, 76, 78, 83 FGO u. a. m.). Die Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung ist – von Beschlüssen (§ 113 FGO) und Gerichtsbescheiden abgesehen – obligatorisch (§ 90 Abs. 1 FGO). Eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ist nur im Einverständnis aller Beteiligten möglich (§ 90 Abs. 2 FGO). Die Verhandlungen sind grds. öffentlich (§ 52 Abs. 1 FGO i. V. m. § 169 FGO).
3. Unmittelbarkeitsgrundsatz
Tz. 53
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Unmittelbarkeit der Beweiserhebung vor dem erkennenden Gericht in der mündlichen Verhandlung ist die Regel (§ 81 Abs. 1 FGO). Das Beweisverfahren ist formalisiert und den Vorschriften des Zivilprozesses angepasst (§ 82 FGO); nur der Urkundenbeweis ist in einer dem öffentlich-rechtlichen Charakter des Abgabenverfahrens entsprechenden Weise geregelt (§§ 76 Abs. 1 Satz 3; 85 Satz 2; 86 FGO).
4. Konzentrationsmaxime und Beschleunigungsgrundsatz
Tz. 54
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die FGO geht im Regelfall davon aus, dass ein finanzgerichtliches Verfahren nach einer umfassend vorbereiteten mündlichen Verhandlung mit Beweisaufnahme abschließend entschieden werden kann (sog. Konzentrationsmaxime; vgl. für den Zivilprozess Greger in Zöller, Vor § 128 ZPO, Rz. 13). Diesem Zweck dienen eine Reihe von Vorschriften, wie z. B. § 79b FGO.
Tz. 55
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Im engen Zusammenhang mit der Konzentrationsmaxime steht der Beschleunigungsgrundsatz. Er besagt, dass Prozesse in überschaubarer Zeit abgeschlossen werden sollen. Denn verzögerte Rechtsgewährung kann auch eine gewisse Rechtsverweigerung bedeuten (iustitiae dilatio est quaedam negatio). Eine beschleunigte Erledigung des Verfahrens soll z. B. durch die Setzung von Ausschlussfristen nach §§ 65 Abs. 2 Satz 2 FGO oder 79b Abs. 2 FGO erreicht werden. Ein Beschleunigungseffekt kann auch durch die Übertragung eines Rechtsstreits auf den Einzelrichter (§ 6 FGO) erreicht werden.