A. Bedeutung und Inhalt der Vorschrift
Tz. 1
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 125 Abs. 1 AO bestimmt, dass ein Verwaltungsakt nichtig ist, sobald er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet, der evident, offenkundig ist. In § 125 Abs. 1 AO ist eine abstrakte Generalklausel enthalten, in § 125 Abs. 2 AO ein Positivkatalog der Nichtigkeit, der auch ohne das Vorliegen der Voraussetzungen des Abs. 1 zur Nichtigkeit führt, in § 125 Abs. 3 AO ein Negativkatalog. Ein nichtiger Verwaltungsakt ist unwirksam (§ 124 Abs. 3 AO). Er kann nicht nach § 126 Abs. 1 AO geheilt werden. Auch § 127 AO findet keine Anwendung. Ein nichtiger Verwaltungsakt ist jedoch nach § 128 AO umdeutbar (s. § 128 AO Rz. 5).
B. Generalklausel (§ 125 Abs. 1 AO)
Tz. 2
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Nichtigkeit des Verwaltungsakts wird dadurch ausgelöst, dass er mit einem besonders schwerwiegenden Fehler behaftet ist, der bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Damit unterscheidet sich die Nichtigkeit von der Rechtswidrigkeit, die nicht zur Unwirksamkeit des Steuerverwaltungsakts führt.
I. Besonders schwerwiegender Fehler
Tz. 3
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Voraussetzung für die Nichtigkeit ist, dass der Verwaltungsakt an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet. Dies ist nicht schon dann der Fall, wenn der Verwaltungsakt gegen das geltende nationale Recht oder Gemeinschaftsrecht verstößt (BFH v. 31.05.2017, I B 102/16, BFH/NV 2017, 1189 zur Anwendung einer veralteten Gesetzesfassung). Erforderlich ist vielmehr, dass der Verwaltungsakt nach keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt ergehen konnte. Ein Verwaltungsakt ist danach nur dann nichtig, wenn er die an eine ordnungsmäßige Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so erheblichen Maß verletzt, dass von niemandem erwartet werden kann, ihn als verbindlich anzuerkennen (BFH v. 16.09.2010, V R 57/09, BStBl II 2011, 51). Dies ist nicht schon dann der Fall, wenn einzelne Elemente des gesetzlichen Tatbestandes entgegen der Auffassung der Behörde vorliegen bzw. nicht vorliegen (BFH v. 26.06.2010, VII R 27/08, BStBl II 2011, 331). Ein Verwaltungsakt ist nichtig, wenn er eindeutig gegen § 119 Abs. 1 AO verstößt, d. h. inhaltlich nicht hinreichend bestimmt ist, da sich sein Inhalt auch nicht durch Auslegung hinreichend sicher bestimmen lässt (BFH v. 23.08.2017, I R 52/15, BFH/NV 2018, 401). So ist ein Steuerbescheid nichtig, der unter Nichtbeachtung des § 157 Abs. 1 Satz 2 AO die festgesetzte Steuer nicht nach Art und Betrag bezeichnet, mehrere Steuerfälle unaufgegliedert zusammenfasst (BFH v. 30.08.2017 II R 46/15, BFH/NV 2018, 125) oder die Angabe des Steuerschuldners unterlässt (s. § 119 AO Rz. 4). Nichtig ist ein mehrere Zuwendungen zusammenfassender Schenkungssteuerbescheid, es sei denn, dem Steuerbescheid ist zu entnehmen, dass das FA von einem einheitlichen Erwerbsvorgang ausgegangen ist (BFH v. 20.11.2013, II R 64/11, BFH/NV 2014, 716). Ergeht für einen Veranlagungszeitraum ein Steuerbescheid, für den bereits ein wirksamer Steuerbescheid gegenüber demselben Adressaten erlassen wurde, ohne dass sich aus dem Wortlaut oder durch Auslegung des Bescheids ergibt, in welchem Verhältnis die Bescheide zueinander stehen, ist der zuletzt ergangene Bescheid nichtig (BFH v. 12.05.2011, V R 25/10, BFH/NV 2011, 1541). Kein Fall der Nichtigkeit wegen Unbestimmtheit ist gegeben, wenn im Verwaltungsakt eine Person eindeutig aber zu Unrecht als Steuerschuldner bezeichnet wird. In diesem Fall ist der Steuerbescheid rechtswidrig, aber nicht nichtig (§ 119 AO Rz. 3). Dies gilt nicht für die Bekanntgabe gegenüber dem Insolvenzverwalter nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens, da dieser als Bekanntgabe- oder Inhaltsadressat nicht mehr in Betracht kommt (BFH v. 06.07.2011, II R 34/10, BFH/NV 2012, 10). Enthält ein Feststellungsbescheid nicht alle Feststellungsbeteiligten als Inhaltsadressat, ist er nicht nichtig, sondern teilnichtig, wenn er im Übrigen inhaltlich hinreichend bestimmt ist und die Finanzbehörde den Feststellungsbescheid ohne den nichtigen Teil erlassen hätte (§ 125 Abs. 4 AO; BFH v. 19.11.2009, IV R 89/06, BFH/NV 2010, 818). Fehlen jedoch jegliche Angaben zu den Beteiligten bzw. sind alle Beteiligte unrichtig bezeichnet, ist der Feststellungsbescheid nichtig (BFH v. 27.08.2003, II R 35/01, BFH/NV 2004, 467). Nichtig ist auch ein Steuerverwaltungsakt, der inhaltlich schlechthin unmöglich ist, z. B. ein Einheitswert betr. ein nicht existierendes Grundstück oder die Zurechnung eines Grundstücks an eine nicht existierende oder nicht mehr existierende Person (s. BFH v. 17.06.1992, X R 47/88, BStB1 II 1993, 174). Ein Verstoß gegen § 119 Abs. 3 AO in der Weise, dass lediglich Unterschrift oder Namenswiedergabe des maßgebenden Beamten fehlt, verursacht keine Nichtigkeit.
Tz. 4
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Keine Nichtigkeit begründen grobe Schätzungsfehler (§ 162 AO), die auf einer Verkennung der tatsächlichen Gegebenheiten oder der wirtschaftlichen Zusammenhänge beruhen. Jedoch können Willkürmaßnahmen, die mit den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Verwa...