A. Bedeutung der Vorschrift
Tz. 1
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Vorschrift enthält als gesetzliche Ausgestaltung des Vertrauensschutzprinzips eine gesetzliche Vermutung (Seer in DStJG 31 (2008), 7, 16; AEAO zu § 158 Satz 1). Ein Stpfl., der Bücher führt und Aufzeichnungen macht, die den hierfür in den §§ 140 bis 148 AO enthaltenen Vorschriften genügen, hat den Anspruch darauf, dass seine Bücher und Aufzeichnungen der Besteuerung zugrunde gelegt werden. Das Gesetz geht davon aus, dass eine formell ordnungsmäßige Buchführung die Vermutung tatsächlicher Richtigkeit rechtfertigt. Die Vorschrift ist auf alle Steuern einschließlich der Steuervergütungen (§ 155 Abs. 4 AO) anwendbar und gilt auch für Einfuhr- und Ausfuhrabgaben sowie Abschöpfungen, da der UZK keine § 158 AO verdrängende Regelung enthält (Seer in Tipke/Kruse, § 158 AO Rz. 2 m. w. N.).
B. Beweisvermutung
Tz. 2
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Nach § 158 AO sind der Besteuerung die Buchführung und die Aufzeichnungen des Stpfl., die den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO entsprechen, zugrunde zu legen, soweit nach den Umständen des Einzelfalls kein Anlass besteht, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden. Bei formeller Ordnungsmäßigkeit der Buchführung und Aufzeichnungen stellt § 158 AO die Vermutung auf, dass Buchführung und Aufzeichnungen auch sachlich richtig sind mit der Folge, dass sie der Besteuerung zugrunde zu legen sind, soweit kein Anlass zu Zweifeln an ihrer sachlichen Richtigkeit besteht (BFH v. 14.12.2011, XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921 m. w. N.). Die Beweisvermutung gilt nur für die Stpfl., die Bücher und Aufzeichnungen führen, die den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO entsprechen. Dies betrifft die für die Besteuerung relevanten Dokumentationen nach dem Handelsrecht (§§ 238ff. HGB), nach § 141 AO, nach Einzelsteuergesetzen wie z. B. nach § 4 Abs. 7 EStG, § 22 UStG sowie nach § 140 AO transponierten außersteuerlichen Buchführungs- und Aufzeichnungsvorschriften (sog. abgeleitete Buchführungspflichten). Sie gilt auch für die Aufzeichnungen im Rahmen der Einnahme-Überschussrechnung (BFH v. 26.02.2004, XI R 25/02, BStBl II 2004, 599) und für freiwillig geführte Bücher und Aufzeichnungen (FG He v. 26.03.1997, 1 K 3108/93, EFG 1998, 252; Seer in Tipke/Kruse, § 158 AO Rz. 2). Buchführung und Aufzeichnungen sind formell ordnungsmäßig, wenn die in diesen Vorschriften normierten Pflichten erfüllt sind. Die Vermutung des § 158 AO bezieht sich aber nur auf das Gesamtwerk der Buchführung, sie entfaltet keine Beweiskraft zugunsten der sachlichen Richtigkeit des verbuchten einzelnen Geschäftsvorfalls (BFH v. 15.02.1989, X R 16/86, BStBl II 1989, 462; überzeugend Seer in Tipke/Kruse, § 158 AO Rz. 5 ff.). Liegen Verstöße gegen die formellen Buchführungsbestimmungen der §§ 140 bis 148 AO vor, so können sich schon hieraus Zweifel an der sachlichen Richtigkeit ergeben. Formelle Buchführungsmängel berechtigen jedoch nicht zur Vermutung der sachlichen Unrichtigkeit der Buchführung mit der Folge, dass sie durch den Stpfl. widerlegt werden müsste (s. Rz. 7). Für die Prüfung der formellen Ordnungsmäßigkeit der Buchführung ist das Gesamtbild aller Umstände im Einzelfall maßgebend (Seer in Tipke/Kruse, § 158 AO Rz. 13; AEAO zu § 158 Satz 3). Eine Buchführung kann trotz einzelner Mängel i. S. der §§ 140 bis 148 AO aufgrund der Gesamtwertung formell ordnungsgemäß erscheinen (AEAO zu § 158 Satz 4).
Tz. 3
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die tatsächliche Beweisvermutung gilt, solange und soweit nach den Umständen des Einzelfalles kein Anlass besteht, die sachliche Richtigkeit der Bücher und Aufzeichnungen zu beanstanden; m. a. W. besteht nach den Umständen des Einzelfalls Anlass zur Beanstandung der sachlichen Richtigkeit, verliert sie ihre Wirksamkeit. Die Vorschrift verlangt keine absolute Widerlegung der Richtigkeit der Bücher und Aufzeichnungen, also auch keinen Gegenbeweis des FA.
C. Widerlegung der Beweisvermutung
Tz. 4
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Bei formell ordnungsmäßiger Buchführung kann die Vermutung der Richtigkeit nur dann ganz oder teilweise widerlegt werden, wenn sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ganz oder teilweise sachlich unrichtig ist (BFH v. 24.06.1997, VIII R 9/96, BStBl II 1998, 51 m. w. N.); bloße Zweifel genügen nicht, die Beanstandungen der sachlichen Richtigkeit müssen konkret sein. Eine Buchführung ist dann formell ordnungswidrig, wenn sie wesentliche Mängel aufweist oder die Gesamtheit aller unwesentlichen Mängel diesen Schluss fordert (AEAO zu § 158 Satz 6 m. w. N.). Die objektive Beweislast für die hierfür maßgeblichen steuererhöhenden Tatsachen trägt das FA (BFH v. 24.06.1997, VIII R 9/96, BStBl II 1998, 51). Die Beanstandung der sachlichen Richtigkeit der Buchführung und der Aufzeichnungen kann das FA i. d. R. mit Hilfe unterschiedlicher Methoden und Verprobungen dartun (vgl. dazu Seer in Tipke/Kruse, § 158 AO Rz. 17 ff.). Die größte Beweiskraft ergibt das Ergebnis einer Überprüfung einzelner Geschäftsvorfälle (Einzelprüfung; vgl. u. a. Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 158 AO Rz. 8). Die verschieden...