Schrifttum
Schwarzer, Die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 258 AO, DStZ 1994, 366;
Weinreuter, Stundung, Erlass und Vollstreckungsaufschub nach der Abgabenordnung, DStZ 1999, 853;
Balmes, Rettungsanker Vollstreckungsaufschub – Praxishinweise und Mustertext zur "Schonungspflicht", AO-StB 2002, 65;
Bartone, Einstweilige Einstellung der Vollstreckung nach § 258 AO, AO-StB 2017, 224.
A. Bedeutung der Vorschrift
Tz. 1
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die einstweilige Einstellung oder Beschränkung der Vollstreckung (sog. Vollstreckungsaufschub) ist – wie der Erlass (§ 227 AO), die Stundung (§ 222 AO) und die abweichende Festsetzung der Steuer gem. § 163 AO – eine Billigkeitsmaßnahme, die in das pflichtgemäße Ermessen der zuständigen Vollstreckungsbehörde gestellt ist (§ 5 AO). Die Anwendung der Vorschrift setzt voraus, dass eine im Vollstreckungsverfahren der AO vollstreckbare Leistungs- oder Duldungspflicht besteht (§ 249 Abs. 1 Satz 1 AO), Vollstreckungsreife eingetreten (§ 254 Abs. 1 AO) und bereits bestimmte Vollstreckungsmaßnahmen (z. B. Pfändung) ergriffen, zumindest jedoch eingeleitet worden sind.
Tz. 2
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Entsprechend dem Zweck der Vorschrift, unbillige Härten der Vollstreckung zu vermeiden, ist die Gewährung von Vollstreckungsaufschub nicht davon abhängig, dass sie nicht zu einer Gefährdung der Verwirklichung des Steueranspruchs führt (so als Voraussetzung für die Stundung § 222 Satz 1 AO). Auch das Verlangen von Sicherheitsleistung ist nicht vorgesehen.
Tz. 3
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Ist die Zwangsvollstreckung bereits beendet, damit der Anspruch auf die geschuldete Geldleistung erloschen oder die geforderte Handlung, Duldung oder Unterlassung bewirkt, sind Billigkeitsmaßnahmen i. S. der Vorschrift begrifflich nicht mehr denkbar. Unberührt bleibt aber die Möglichkeit, in dem hierdurch in der Hauptsache erledigten Verfahren gegen die Ablehnung der Billigkeitsmaßnahme gem. § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO (Fortsetzungsfeststellungsklage) die Rechtswidrigkeit der abgeschlossenen Maßnahme unter den dort bezeichneten Voraussetzungen feststellen zu lassen.
Tz. 4
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Regelung bildet ein Gegenstück zu § 765a ZPO, setzt aber – abweichend von der zivilprozessualen Vorschrift – keinen Antrag des Vollstreckungsschuldners voraus.
B. Tatbestandliche Voraussetzung
Tz. 5
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Kernvoraussetzung für eine Billigkeitsmaßnahme nach § 258 AO ist, dass die Vollstreckung im Einzelfall unbillig ist. Diese Form der Unbilligkeit stellt im Vergleich zur Unbilligkeit der Einziehung – so die Terminologie beim Erlass (§ 227 AO), die voraussetzt, dass es schlechthin unbillig ist, den Anspruch geltend zu machen – ein Weniger dar (BFH v. 24.09.1991, VII B 107/91, BFH/NV 1992, 503).
Tz. 6
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 258 AO findet grundsätzlich nur dann Anwendung, wenn die Umstände, die eine Vollstreckung im konkreten Fall unbillig erscheinen lassen, lediglich vorübergehender Natur sind, d. h. wenn die Vollstreckung oder eine einzelne Vollstreckungsmaßnahme dem Vollstreckungsschuldner einen unangemessenen Nachteil bringen würde, der durch kurzfristiges Zuwarten oder durch eine andere Vollstreckungsmaßnahme vermieden werden kann (BFH v. 15.01.2003, V S 17/02, BFH/NV 2003, 78; BFH v. 08.07.2004, VII B 35/04, BFH/NV 2004, 1621; BFH v. 12.12.2005, VII R 63/04, BFH/NV 2006, 900; BFH v. 21.04.2009, I B 178/08, BFH/NV 2009, 1596). Kurzfristigkeit in diesem Sinne nimmt die Rspr. an, wenn der Zeitraum, innerhalb dessen die Rückstände getilgt werden können, absehbar ist. Dies ist regelmäßig bei einem Zeitraum von bis zu sechs Monaten, in Ausnahmefällen bis zu zwölf Monaten, jedenfalls aber nicht über einen Zeitraum von mehreren Jahren der Fall (verneint bei sieben Jahren: BFH v. 05.10.2001, VII B 15/01, BFH/NV 2002, 160; verneint bei fünf Jahren: BFH v. 31.05.2005, VII R 62/04, BFH/NV 2005, 1743). Daran hat auch die Einführung der InsO nichts geändert.
Tz. 7
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Werden Ratenzahlungen angeboten und muss aufgrund des Verhaltens des Vollstreckungsschuldners mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass er die Zusage nicht einhalten wird, scheidet die Gewährung von Vollstreckungsaufschub auch dann aus, wenn die Vollstreckung unbillig ist und nach den angebotenen Raten eine Tilgung in absehbarer Zeit versprochen wird (BFH v. 24.09.1991, VII B 107/91, BFH/NV 1992, 503).
Tz. 8
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Demgegenüber kommt eine längerfristige Einstellung der Vollstreckung nur ausnahmsweise in Betracht, wenn die betreffenden Vollstreckungsmaßnahmen geeignet sind, Gefahr für das Leben oder die Gesundheit des Vollstreckungsschuldners auszulösen (BFH v. 05.10.2001, VII B 15/01, BFH/NV 2002, 160; BFH v. 08.07.2004, VII B 35/04, BFH/NV 2004, 1621; BFH v. 28.09.2006, V B 71/05, juris). Diesen Ausnahmefall hat der BFH anhand der zu Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, § 765a ZPO ergangenen Rechtsprechung des BVerfG entwickelt (BVerfG v. 03.10.1979, 1 BvR 614/79, BVerfGE 52, 214; s. FG Sa v. 03...