Schrifttum
Feldmann, Die Anfechtbarkeit von geänderten Verwaltungsakten, NWB Fach 2, 3801;
Macher, Die beschränkte Anfechtbarkeit von Steuerverwaltungsakten. Ein Beitrag zu § 351 AO, StuW 1985, 33;
von Wedelstädt, Die Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden, DB 1986, Beil. Nr. 20;
Wüllenkemper, Verwaltungsverfahren und Klageantrag bei beabsichtigter Bestandskraftdurchbrechung gemäß § 351 Abs. 1 AO, DStZ 1996, 304;
Kies, Besonderheiten bei Einspruchsverfahren gegen korrigierte Steuerbescheide, DStR 2001, 1555.
A. Bedeutung der Vorschrift
Tz. 1
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 351 AO ist keine selbstständige Änderungsvorschrift. Vielmehr wird die Abänderbarkeit eines bestandskräftigen Verwaltungsaktes vorausgesetzt und bezieht sich der Regelungsgehalt des § 351 AO auf den Abänderungsbescheid. § 351 AO schränkt die Einspruchsbefugnis eines beschwerten Steuerpflichtigen (§ 350 AO) sachlich ein, indem er den Umfang angibt, in dem abgeänderte Verwaltungsakte angefochten werden können. Die Vorschrift normiert damit die Bindungswirkung zuvor ergangener Verwaltungsakte aufgrund formeller Bestandskraft (BFH v. 02.09.1987, I R 162/84, BStBl II 1988, 142). Hieraus ergibt sich, dass formell bestandskräftige Verwaltungsakte nur noch aus materieller Sicht anfechtbar sind (BFH 27.10.2015 X R 44/13, BStBl II 2016, 278). § 351 AO hat lediglich klarstellende Wirkung, da sich die Grenzen der Anfechtbarkeit bereits aus der rechtlichen Einordnung von Änderungsbescheiden an sich ergibt. Ein Änderungsbescheid trifft nur im Umfang der Änderung eine neue Regelung, während der übrige Inhalt des ursprünglichen Bescheids lediglich wiederholt wird. Die wiederholende Verfügung ist aber nicht erneut angreifbar. Die Beschwer (§ 350 AO) beschränkt sich auf die neue Regelung und grenzt damit bereits den Umfang der Einspruchsbefugnis ein (auch Seer in Tipke/Kruse, § 351 AO Rz. 3). Folgt man der Auffassung des BFH, so tritt der Änderungsbescheid an die Stelle des geänderten Bescheids. § 351 AO ist dann eine eigenständige (einschränkende) Zulässigkeitsvoraussetzung (BFH v. 24.07.1984, VII R 122/80, BStBl II 1984, 791; BFH v. 25.10.1972, GrS 1/72, BStBl II 1973, 231; BFH v. 19.01.1977, I R 89/74, BStBl II 1977, 517; auch Siegers in HHSp, § 351 AO Rz. 10).
Tz. 2
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Ähnlich ist das Verhältnis des Grundlagenbescheides zum Folgebescheid. Wird ein Einspruch gegen einen Folgebescheid lediglich mit Mängeln des Grundlagenbescheides begründet, ist der Einspruch unzulässig, da nicht geltend gemacht wird, durch den Folgebescheid beschwert zu sein (Szymczak in K/S, § 351 AO Rz. 14; Rätke in Klein, § 351 AO Rz. 20 ff.; Seer in Tipke/Kruse, § 351 AO Rz. 54; BFH v. 11.07.1996, IV R 67/95, BFH/NV 1997, 114; FG Bln v. 02.06.1986, VIII 12/85, EFG 1986, 610). Dagegen steht der BFH auf dem Standpunkt, der Einspruch sei zwar zulässig aber unbegründet, da der Einspruchsführer mit den Einwendungen gegen den Grundlagenbescheid konkludent behaupte, der Folgebescheid würde ihn in seinen Rechten verletzen (BFH v. 12.10.2011, VIII R 2/10, BFH/NV 2012, 776; BFH v. 09.11.2005, I R 10/05, BFH/NV 2006, 750; BFH v. 15.10.2003, X R 48/01, BStBl II 2004, 169).
Tz. 3
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Einschränkungen des § 351 Abs. 1 und 2 AO stehen unabhängig nebeneinander. D. h. bei der Anfechtung eines Änderungsfolgebescheides wird die Einspruchsbefugnis durch beide Absätze beschränkt. Die Voraussetzungen sind getrennt zu prüfen Der Einspruchsführer kann den geänderten Folgebescheid nur anfechten, soweit die Änderung reicht (§ 351 Abs. 1 AO); er darf dabei keine Gründe heranziehen, die die Rechtmäßigkeit des Grundlagenbescheides betreffen (§ 351 Abs. 2 AO).
B. Anfechtung von Änderungsbescheiden (§ 351 Abs. 1 AO)
Tz. 4
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 351 Abs. 1 AO setzt voraus, dass der Einspruchsführer einen Verwaltungsakt, der einen anderen Verwaltungsakt ändert, anfechten will. Dabei greift die einschränkende Regelung nur ein, wenn der ursprüngliche Bescheid nicht mehr angegriffen werden kann. Der Erstbescheid muss unanfechtbar sein. Dies ist immer dann der Fall, wenn die Einspruchsfrist abgelaufen ist (§ 355 AO), auf den Einspruch verzichtet worden ist (§ 354 AO), der Einspruch nach Ablauf der Einspruchsfrist zurückgenommen wurde (§ 362 AO) oder über einen Einspruch unanfechtbar entschieden worden ist.
Tz. 5
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Wird der Änderungsbescheid erlassen, bevor der Erstbescheid unanfechtbar ist, soll § 351 AO nach überwiegender Auffassung nicht gelten. Der Änderungsbescheid sei unbeschränkt anfechtbar (so: BFH v. 10.07.1980, IV R 11/78, BStBl II 1981, 5; Seer in Tipke/Kruse, § 351 AO Rz. 11; Keß in Schwarz/Pahlke, § 351 AO Rz. 10; a. A. Siegers in HHSp, § 351 AO Rz. 56). Dies gelte auch dann, wenn der Einspruch erst nach Ablauf der Einspruchsfrist für den Erstbescheid eingelegt wird (FG Mchn v. 16.04.2010, 13 K 2939/08, EFG 2010, 1574). Maßgeblich sei allein der Zeitpunkt der Bekanntgabe des Änderungsbescheides. Diese Auffassung lässt jedoch unberücksichtigt, dass schon der Ursprungsbescheid einen eigenen Regelungsgehalt ...