Karl Blesinger, Dr. Andreas Viertelhausen
Tz. 1
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Verschollenheit ist langdauernde Abwesenheit mit unbekanntem Aufenthalt und ohne Lebensgewissheit (s. § 1 Abs. 1 VerschollenheitsG). Verschollene können unter den Voraussetzungen des VerschollenheitsG im Aufgebotsverfahren für tot erklärt werden. Die Todeserklärung begründet die Vermutung, dass der Verschollene an dem Tag verstorben ist, den der diesbezügliche Gerichtsbeschluss feststellt (s. § 9 Abs. 1 Satz 1 VerschollenheitsG).
Tz. 2
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Im Gegensatz zur bürgerlich-rechtlichen Regelung behandelt das Steuerrecht den Verschollenen bis zur Rechtskraft der Todeserklärung als lebend. Das folgt aus dem praktischen Bedürfnis, für Zwecke der Besteuerung nicht an den im Gerichtsbeschluss festgestellten u. U. weit zurückliegenden Todestag anzuknüpfen. Das würde es erforderlich machen, die aus dem Vermögen des Verschollenen bis zur Gerichtsentscheidung bezahlten Steuern zu erstatten und eine nachträgliche Veranlagung der Erben vorzunehmen.
Tz. 3
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Für die Besteuerung gilt daher bei Verschollenheit der Tag als Todestag, mit dessen Ablauf der Beschluss über die Todeserklärung des Verschollenen rechtskräftig wird. Bis dahin wird das Weiterbestehen des Verschollenen als Steuersubjekt fingiert (BFH v. 09.09.1960, III 21/59, HFR 1961, 261).
Tz. 4
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Das Gesetz fingiert für die Besteuerung den Tag als Todestag, mit dessen Ablauf der Beschluss über die Todeserklärung des Verschollenen rechtskräftig wird. Dies bedeutet, dass alle unmittelbaren steuerlichen Folgen, die aus dem Tod der für tot erklärten Person resultieren, sich an diesem Zeitpunkt orientieren. So gilt der überlebende Ehegatte von da an steuerlich als verwitwet (BFH v. 17.12.1953, IV 305/83 U, BStBl III 1954, 78). Der für tot Erklärte bleibt bis zu diesem Zeitpunkt ggfs. Gesellschafter einer Personengesellschaft. Ihm und nicht seinen Erben werden die angefallenen Einkünfte zugerechnet (BFH v. 24.08.1956, I 9/55 U, BStBl III 1956, 310).
Tz. 5
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Regelung betrifft nur die steuerlichen Folgen des Ablebens der für tot erklärten Person. Nicht betroffen sind die mittelbaren Auswirkungen des Todes auf steuerliche Tatbestände anderer Personen. So ist zwar in Erbfällen für tot erklärter Personen § 49 AO maßgebend. Für die Festsetzung der ErbSt nach einem für tot Erklärten gilt als Zeitpunkt des Todes nicht der im Gerichtsbeschluss festgestellte Tag, sondern der Tag, mit dessen Ablauf der Beschluss rechtskräftig wird. Für die Frage, ob der für tot erklärte Erbe eines vor Rechtskraft des Gerichtsbeschlusses, jedoch nach dem in ihm genannten Zeitpunkt Verstorbenen ist, kommt es jedoch allein auf das bürgerliche Recht an. § 49 AO kann nicht dazu führen, den Verschollenen abweichend vom Zivilrecht steuerlich als Erben eines nach ihm Verstorbenen anzusehen (BFH v. 21.09.1956, III 30/56 U, BStBl III 1956, 373).
Tz. 6
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Keine Anwendung findet die Vorschrift, wenn lediglich gem. § 39 VerschollenheitsG der Zeitpunkt des Todes einer Person festgestellt ist, weil zwar dieser, nicht aber der eingetretene Tod selbst zweifelhaft ist (BFH v. 26.06.1953, III 127/52 S, BStBl III 1953, 237). Ebenso wenig kann der wirkliche Todeszeitpunkt steuerlich außer Betracht gelassen werden, wenn Tatsache und Zeitpunkt des Todes einer Person bekannt sind, jedoch über alle sonstigen Umstände Ungewissheit herrscht (FG Nbg v. 29.07.1955, I 86 – 89/55, EFG 1956, 22).