Karl Blesinger, Dr. Andreas Viertelhausen
Schrifttum
Ebeling, Verfahrenshandlungen von und gegenüber handlungsunfähigen natürlichen Personen im Steuerverwaltungsverfahren, DStZ 1998, 322;
Dissars, Der beschränkt Geschäftsfähige im Steuerrecht; DStR 1997, 417;
Demme, Verfahrensrechtliche Fragen in Zusammenhang mit der Betreuung von Steuerpflichtigen, AO-StB 2010, 150.
A. Bedeutung der Vorschrift
Tz. 1
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Der aus der Verwaltungsrechtslehre übernommene Begriff der Handlungsfähigkeit klärt die Frage, wer im steuerlichen Verwaltungsverfahren wirksam Verfahrenshandlungen aktiv (z. B. durch Abgabe von Erklärungen, Anträgen usw.) und passiv (z. B. durch Entgegennahme von Verwaltungsakten) vornehmen kann. Von der Vorschrift betroffen ist die Handlungsfähigkeit für das Steuerfestsetzungsverfahren, das Erhebungs- und Vollstreckungsverfahren und das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren. Handlungen von Personen, die nicht handlungsfähig sind, sind ebenso unwirksam wie Verfahrenshandlungen, die ihnen gegenüber vorgenommen werden (BFH v. 16.04.1997, XI R 61/94, BStBl II 1997, 595). Die Finanzbehörde muss sich an den gesetzlichen Vertreter wenden, der ggf. von Amts wegen zu bestellen ist (s. § 81 AO).
B. Geschäftsfähigkeit nach bürgerlichem Recht
Tz. 2
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Nach § 79 Abs. 1 Nr. 1 AO sind natürliche Personen, die nach bürgerlichem Recht geschäftsfähig sind, zur Vornahme von Verfahrenshandlungen fähig. Der bürgerlich-rechtliche Begriff der Geschäftsfähigkeit bedeutet die Fähigkeit, Rechtsgeschäfte mit rechtlicher Wirkung vorzunehmen.
Tz. 3
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Das bürgerliche Recht trifft hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit eine Negativabgrenzung. Gemäß § 104 BGB ist geschäftsunfähig, wer nicht das siebte Lebensjahr vollendet hat und wer sich in einem die freie Willensbildung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach vorübergehend ist.
C. Besondere Regelungen für Personen mit beschränkter Geschäftsfähigkeit
Tz. 4
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Minderjährige (s. § 2 BGB), die das siebte Lebensjahr vollendet haben, sind nach § 106 BGB beschränkt geschäftsfähig.
Tz. 5
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Soweit Minderjährige nicht partiell geschäftsfähig sind (s. §§ 112, 113 BGB), sind sie handlungsunfähig.
Tz. 6
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 79 Abs. 1 Nr. 2 AO billigt beschränkt geschäftsfähigen natürlichen Personen ausnahmsweise die Fähigkeit zur Vornahme von Verfahrenshandlungen zu, soweit sie für den Gegenstand des Verfahrens durch Vorschriften des bürgerlichen Rechts als geschäftsfähig oder durch Vorschriften des öffentlichen Rechts als handlungsfähig anerkannt sind. Nach § 112 BGB sind beschränkt Geschäftsfähige, denen der gesetzliche Vertreter mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts die Ermächtigung zum selbstständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts erteilt hat, für solche Rechtsgeschäfte unbeschränkt geschäftsfähig, welche der Geschäftsbetrieb mit sich bringt. Ausgenommen sind lediglich Rechtsgeschäfte, zu denen der Vertreter der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts bedarf. Entsprechendes gilt gem. § 113 BGB für Rechtsgeschäfte beschränkt Geschäftsfähiger, die mit Ermächtigung des gesetzlichen Vertreters in Dienst oder in Arbeit treten. Hieran orientiert sich auch die steuerliche Handlungsfähigkeit. So kann der unter § 112 BGB fallende beschränkt Geschäftsfähige z. B. die USt- und GewSt-Erklärung im Zusammenhang mit einem von ihm geführten Unternehmen einreichen. Die entsprechenden Bescheide können unmittelbar an ihn gerichtet und ihm bekannt gegeben werden.
Tz. 7
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Verschiedene öffentlich-rechtliche Vorschriften billigen beschränkt Geschäftsfähigen die Fähigkeit zur Vornahme bestimmter gegenstandsbezogener Verfahrenshandlungen zu (s. z. B. § 5 des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung). Die Ausdehnung dieser gegenstandsbezogenen Handlungsfähigkeit auf das steuerliche Verwaltungsverfahren in § 79 Abs. 1 Nr. 2 AO hat nur in Kirchensteuersachen Bedeutung.
Tz. 8
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Das Betreuungsverhältnis (s. § 1896 BGB) berührt die Geschäftsfähigkeit nicht. Der Betreuer hat nur innerhalb des Aufgabenkreises, für den er bestellt ist, die Stellung eines gesetzlichen Vertreters des Betreuten (s. § 1902 BGB). Soweit der Betreute ohnehin noch geschäftsfähig ist, besteht eine Doppelzuständigkeit. Faktisch wird durch den Einwilligungsvorbehalt (s. § 1903 BGB) und dessen durch § 79 Abs. 2 AO anerkannten Vorrang zur Vermeidung von einander widersprechenden Verfahrenshandlungen der Betreute zum nur partiell Handlungsfähigen. Eine ohne Einwilligung vorgenommene Verfahrenshandlung bleibt bis zur Genehmigung durch den Betreuer unwirksam (BFH v. 18.06.2007, II B 26/07, BFH/NV 2007, 1911).
D. Juristische Personen, Vereinigungen und Vermögensmassen
Tz. 9
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Nach § 79 Abs. 1 Nr. 3 AO nehmen juristische Personen, Vereinigungen oder Vermögensmassen Verfahrenshandlungen durch ihre gesetzlichen Vertreter oder durch besonders Beauftragte vor. Diese Regelung beruht ebenso wie § 79 Abs. 1 Nr. 4 AO auf dem Umstand, dass die genannten Gebilde, selbst wenn sie rechtsfähig sind, keine Gesch...