Schrifttum
Siegert, Das neue Einspruchsverfahren, DStZ 1995, 25;
Bilsdorfer, Das steuerliche Einspruchsverfahren, SteuerStud 1996, 446;
Szymczak, Das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren ab 1996, DB 1994, 2254;
Tiedchen, Änderungen des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens durch das Grenzpendlergesetz, BB 1996, 1033;
Günther, Das Einspruchsverfahren gegen VA der Finanzverwaltung, AO-StB 2008, 280.
Tz. 1
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Vorschriften des 7. Teils der AO 1977 regeln das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren. Vorschriften zu den gerichtlichen Rechtsbehelfen finden sich in der FGO.
Jeder, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, kann nach Art. 19 Abs. 4 GG den Rechtsweg beschreiten. Dieser im Grundgesetz verankerte Gedanke des Individualrechtsschutzes garantiert eine vom Ermittlungs- und Veranlagungsverfahren losgelöste gerichtliche Nachprüfung der Rechtmäßigkeit aller steuerrechtlichen Maßnahmen. Der Gesetzgeber hat im Verwaltungsrecht allgemein und damit auch im Steuerrecht dem gerichtlichen Verfahren ein besonderes weiteres Verfahren vorgeschaltet. Eine Klage vor dem Finanzgericht ist grundsätzlich nur zulässig, wenn das zuvor durchlaufene Verfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf zumindest teilweise ohne Erfolg geblieben ist (§ 44 Abs. 1 FGO). Eine Ausnahme dazu bilden die Sprungklage (§ 45 FGO) und die Untätigkeitsklage (§ 46 FGO). Das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren der §§ 347ff. AO ist als leges speciales zum Widerspruchsverfahren der VwGO geregelt. Es finden sich zahlreiche Parallelitäten in beiden Verfahrensordnungen, aber auch dem Steuerverfahren geschuldete Besonderheiten. Terminologisch wird das steuerliche außergerichtliche Rechtbehelfsverfahren als Einspruchsverfahren bezeichnet, der aus dem allgemeinen Verwaltungsrecht geläufige Begriff des Widerspruchs findet hier keine Verwendung.
Tz. 2
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Das Vorverfahren dient primär dem Rechtsschutz des Bürgers, es soll ihm erlauben, eine Entscheidung der Finanzverwaltung nochmals überprüfen zu lassen. Der Rechtsschutz ist gegenüber den gerichtlichen Rechtsbehelfen noch insoweit erweitert, als dass die Finanzbehörde bei Ermessensentscheidungen (s. § 5 AO) diese nochmals uneingeschränkt überprüfen kann, was dem Finanzgericht verwehrt ist (s. § 102 FGO). Neben dem Individualrechtsschutz des Rechtsbehelfsführers soll der Steuerverwaltung in einem außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren die Möglichkeit der Selbstkontrolle gegeben werden. Dies ist sinnvoll, da das Besteuerungsverfahren ein Massenverfahren ist, bei dem die einzelnen Fälle von den Finanzbehörden nicht durchweg so intensiv geprüft werden können, wie die bei den Gerichten anhängig werdenden Einzelfälle. Mangelnde Sachaufklärung, eine Vielzahl flüchtiger Veranlagungen infolge hoher Arbeitsbelastung sowie eine wachsende Rechtsunsicherheit durch ein sich ständig änderndes Steuerrecht führen zu einer hohen Fehlerquote bei den Finanzämtern. Dieser relativ hohe Prozentsatz unrichtiger Entscheidungen kann durch das Einspruchsverfahren auf möglichst unkomplizierte Weise selbst bereinigt werden. Daneben führt die Filterfunktion des Vorverfahrens zu einer spürbaren Entlastung der Finanzgerichte. Allein 64,2 % der von Steuerpflichtigen eingelegten Einsprüche wurden im Jahr 2002 durch Abhilfe erledigt und nur etwa 3 % der eingelegten Rechtsbehelfe führten im Nachsatz zu einem finanzgerichtlichen Klageverfahren (s. Aufstellung des BMF, BB-aktuell, Heft 21/2003, IV).
Tz. 3
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Das Verfahren über den Rechtsbehelf ist ein Verwaltungsverfahren. Es unterliegt, soweit nichts anderes angeordnet ist, den Verfahrensvorschriften, die für den Erlass des angefochtenen bzw. begehrten Verwaltungsaktes gelten. Auf den Rechtsbehelf hin kann der Verwaltungsakt auch zum Nachteil des Rechtsbehelfsführers geändert werden (§ 367 Abs. 2 Satz 2 AO), sofern dieser auf eine mögliche Verböserung hingewiesen wurde und ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt wurde, was nichts anderes bedeutet, als dass ihm Gelegenheit zur rechtzeitigen Rücknahme seines Einspruchs vor einer Schlechterstellung gegeben werden muss. Das Rechtsbehelfsverfahren ist als Verwaltungsverfahren nicht kostenpflichtig.
Tz. 4
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Bis zum 31.12.1995 differenzierte das steuerliche Rechtsbehelfsverfahren zwischen den förmlichen Rechtsbehelfen des Einspruchs und der Beschwerde. Während für die meisten Verwaltungsakte die Möglichkeit des Einspruchs gegeben war, über den die Finanzbehörde entschied, die den Verwaltungsakt erlassen hatte, war für die übrigen Verwaltungsakte (§ 349 a. F. AO) die Beschwerde vorgesehen, die an die nächsthöhere Behörde gerichtet wurde. Das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren ist durch Art. 4 des Grenzpendlergesetzes vom 24.06.1994 (BGBl I 1994, 1395; BStBl I 1994, 440) mit Wirkung ab 01.01.1996 zum Teil grundlegend neu gestaltet worden (s. Szymczak, DB 1994, 2254). Einspruch und Beschwerd...