Schrifttum
Bartone, Verfahrensrechtliche Fragen beim Insolvenzverfahren, AO-StB 2004, 142;
Pump/Krüger, Die isolierte Anfechtung der Einspruchsentscheidung in der finanzgerichtlichen Klage – Ein prozessualer Verfahrensfehler mit Konsequenzen, DStR 2013, 891.
Tz. 1
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 44 Abs. 1 FGO bestimmt (nur) für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen, dass die Durchführung eines außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens vor den Finanzbehörden (Einspruchsverfahren) eine notwendige Verfahrensvoraussetzung ( Sachentscheidungsvoraussetzung) für die Erhebung der Klage zum FG, die auch vom BFH als Revisionsgericht in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist (BFH v. 15.01.2015, I R 69/12, BFH/NV 2015, 1037; s. Vor FGO Rz. 30). Vorverfahren ist das Einspruchsverfahren nach §§ 347ff. AO. Nur ausnahmsweise ist dies nicht erforderlich (s. Rz. 2). Fehlt es an einem Vorverfahren und dessen Abschluss durch eine Einspruchsentscheidung (§§ 366, 367 Abs. 2 Satz 3 AO), ist die Klage grds. unzulässig und durch Prozessurteil abzuweisen (vgl. z. B. BFH v. 27.06.2014, IV B 12/14, BFH/NV 2014, 1570; s. Vor FGO Rz. 26 und unten s. Rz. 4). Wird eine Klage vor Abschluss des außergerichtlichen Vorverfahrens erhoben und ergeht die Einspruchsentscheidung noch vor der Abweisung der Klage, so wird die Klage zulässig werden, wenn das Vorverfahren nach dem Inhalt der ergangenen Verwaltungsentscheidung ganz oder zum Teil erfolglos geblieben ist, weil die Klage "in die Zulässigkeit hineinwächst" (Seer in Tipke/Kruse, § 44 FGO Rz. 13; BFH v. 29.03.2001, III R 1/99, BStBl II 2001, 432; BFH v. 20.01.2009, IX B 178/08, juris; Steinhauff in HHSp, § 44 FGO Rz. 245; zur gleichlautenden h. M. im allgemeinen Verwaltungsprozessrecht Kopp/Schenke, § 68 VwGO Rz. 3 ff.; Levedag in Gräber, § 44 FGO Rz. 33). Fehlt es indessen bereits an der Entscheidung einer Behörde über einen bei ihr gestellten Antrag oder an einem anzufechtenden Verwaltungsakt, so kommt ein "Hineinwachsen" der Klage in die Zulässigkeit nicht in Betracht, wenn die angefochtene Verwaltungsentscheidung nachträglich ergeht (BFH v. 05.02.2003, VII B 268/02, BFH/NV 2003, 651), denn dann fehlt immer noch die Einspruchsentscheidung. Dies gilt auch, wenn das FA einem Einspruch in vollem Umfang abhilft; auch in diesem Fall fehlt es an den Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 FGO (BFH v. 18.04.2007, XI R 47/05, BStBl II 2007, 736; Bartone in Gosch, § 348 AO Rz. 8). Nicht entbehrlich ist ein Vorverfahren aber schon deshalb, weil sich die beklagte Behörde auf die Klage eingelassen hat und ihre Abweisung aus materiellen Gründen begehrt (BFH v. 16.11.1984, VI R 176/82, BStBl II 1985, 266); die Behörde kann auf die Sachentscheidungsvoraussetzung nicht "verzichten" (BFH v. 20.12.2006, X R 38/05, BFH/NV 2007, 1016; BFH v. 01.03.2010, XI B 34/09, BFH/NV 2010, 1142; auch Kopp/Schenke, § 68 VwGO Rz. 1). Für die allgemeine Leistungsklage (§ 40 Abs. 1 3. Alt. FGO) sowie für die Feststellungsklage (§ 41 Abs. 1 FGO) gilt § 44 Abs. 1 FGO nicht.
Wollen sich Ehegatten, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden (§ 26b EStG), gegen einen ESt-Bescheid wenden, gilt Folgendes: Beide Ehegatten müssen die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 FGO jeweils in eigener Person erfüllen. Ein von dem einen Ehegatten eingelegter Rechtsbehelf hat nicht ohne Weiteres die Wirkung eines auch von dem anderen Ehegatten eingelegten Rechtsbehelfs. Daher ist für die wirksame Rechtsbehelfseinlegung des einen Ehegatten auch für den anderen erforderlich, dass der das Rechtsmittel führende Ehegatte unmissverständlich zum Ausdruck bringt, er lege den Rechtsbehelf auch für den anderen Ehegatten ein. Liegt danach ein Einspruch eines Ehegatten nicht vor, sind die Sachentscheidungsvoraussetzungen des § 44 Abs. 1 FGO nicht etwa schon deshalb erfüllt, weil das FA die Einspruchsentscheidung unzutreffend auch gegen diesen Ehegatten gerichtet hat (BFH v. 20.12.2006, X R 38/05, BFH/NV 2007, 1016). Die Einspruchsentscheidung ist vielmehr rechtswidrig und (isoliert) aufzuheben (dazu s. Rz. 7). Hat ein Ehegatte keinen Einspruch eingelegt, so ist seine Klage demnach unzulässig (BFH v. 20.12.2012, III R 59/12, BFH/NV 2013, 709).
Tz. 2
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Zulässigkeit einer Anfechtungsklage hängt ausnahmsweise nicht von der erfolglosen Durchführung eines Einspruchsverfahrens ab, wenn der Kläger durch die Einspruchsentscheidung erstmals beschwert ist (BFH v. 04.11.1987, II R 167/81, BStBl II 1988, 377; BFH v. 08.07.1998, I R 123/97, BFH/NV 1999, 269). Ist zum Einspruchsverfahren ein Dritter gem. § 360 Abs. 1, Abs. 3 AO hinzugezogen worden, so ist für seine Klage dem Erfordernis des § 44 Abs. 1 FGO Genüge getan. Die Klage eines Kommanditisten gegen einen Verlustfeststellungsbescheid nach § 15a EStG ist aber auch dann zulässig, wenn die Einspruchsentscheidung an die KG gerichtet und der Kommanditist nicht zum Einspruchsverfahren hinzugezogen worden ist (BFH v. 14.10.2003, VIII R 32/01, BStBl II 2004, 359; BFH v. 27.05.2004,...