Schrifttum
Tipke, Die Untersuchungsmaxime im Steuerprozeß und ihre Auswirkungen, DStR 1962/63, 234;
J. Martens, Informationsbeschaffung im Steuerprozess, Felix-FS 1989;
Seer, Der Einsatz von Prüfungsbeamten durch das Finanzgericht, Diss. Köln, Berlin 1993;
Köhler-Rott, Der Untersuchungsgrundsatz im Verwaltungsprozess und die Mitwirkungspflicht der Beteiligten, Diss. München 1997;
Manssen, Untersuchungsgrundsatz, Aufklärungspflicht und Mitwirkungsobliegenheiten im Verwaltungsprozeß, Haack-FS 1997;
Jarosch, Darlegungspflichten im FG-Verfahren – Umfang der Mitwirkungspflichten des Klägers, AO-StB 2001, 199;
Kaufmann, Untersuchungsgrundsatz und Verwaltungsgerichtsbarkeit, Habil. Göttingen, Tübingen 2002;
von Wedelstädt. Die präkludierende Fristsetzung durch die Finanzbehörde, AO-StB 2002, 200;
Loschelder, Die Beweislast im finanzgerichtlichen Verfahren, AO-StB 2003, 23.
A. Bedeutung und Inhalt der Vorschrift
Tz. 1
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Wie im Steuerermittlungsverfahren der Finanzbehörden und entsprechend dem zwingenden Charakter der dem öffentlichen Recht zugehörigen Steueransprüche, der den Beteiligten die Verfügung über das Steuerschuldverhältnis entzieht, gilt auch im finanzgerichtlichen Verfahren der Grundsatz der amtlichen Ermittlung der für die Entscheidung maßgebenden tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse (Untersuchungsgrundsatz oder Amtsermittlungsgrundsatz). § 76 FGO stellt somit eine zentrale Norm des Finanzprozessrechts dar, das sich wie das übrige Verwaltungsprozessrecht vom Zivilprozess grundlegend dadurch unterscheidet, dass dort die Prozessparteien, die Tatsachengrundlagen für die Entscheidung liefern müssen ("da mihi factum, dabo tibi ius"; Beibringungsgrundsatz). Dies gilt umso mehr, als das FG grds. die einzige Tatsacheninstanz im Finanzprozess ist. Eingeschränkt wird die gerichtliche Amtsermittlungspflicht durch die Mitwirkungspflicht der Beteiligten (§ 76 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 FGO; dazu s. Rz. 6 ff.). Ungeachtet dessen bleibt die beklagte Finanzbehörde auch während des Gerichtsverfahrens zu eigenen Ermittlungen berechtigt und verpflichtet (§ 76 Abs. 4 FGO; s. Rz. 17). Damit Stpfl., die ihrer Mitwirkungspflicht im Verwaltungsverfahren vor der Finanzbehörde nicht nachkommen, aus ihren Verstößen keine Vorteile erwachsen, sieht § 76 Abs. 3 FGO eine bedingte Fortwirkung der Präklusion aus dem Einspruchsverfahren vor (Rz. 17).
B. Amtliche Ermittlungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO)
Tz. 2
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Das FG hat nach § 76 FGO ein selbständiges Ermittlungsrecht und eine selbständige Ermittlungspflicht, und zwar unabhängig davon, ob und welche Ermittlungen die Finanzbehörde bereits angestellt hat. Das FG ist daher z. B. an die Feststellungen eines Strafgerichts nicht gebunden (BFH v. 07.07.1995, III B 8/95, BFH/NV 1996, 150; BFH v. 12.04.1994, I B 75, 77, 79/93, BFH/NV 1995, 40; auch BFH v. 09.12.2004, VII B 17/04, BFH/NV 2005, 935; aber s. Rz. 5). Der gerichtlichen Ermittlungspflicht entspricht diejenige der Finanzbehörden im Verwaltungsverfahren aufgrund § 88 AO; wegen der Einzelheiten s. § 88 AO Rz. 3 ff. Das FG hat das Verfahren zur Entscheidungsreife zu führen (BFH v. 29.03.1995, II R 13/94, BStBl II 1995, 542) und muss dazu den entscheidungserheblichen Sachverhalt so vollständig wie möglich und unter Ausnutzung aller verfügbaren Beweismittel aufklären (z. B. BFH v. 15.12.1999, X R 151/97, BFH/NV 2000, 1097; BFH v. 05.01.2000, II B 16/99, BFH/NV 2000, 1098; sehr ausführlich Krumm in Tipke/Kruse, § 76 FGO Rz. 20 ff.). § 76 FGO steht daher im engen Zusammenhang mit §§ 81ff. FGO über die Beweiserhebung. Die Entscheidung aufgrund eines bloß fiktiven Sachverhalts ist daher ausgeschlossen (Krumm in Tipke/Kruse, § 76 FGO, Rz. 18). Verletzt das Gericht seine Aufklärungspflicht, liegt ein Verfahrensverstoß i. S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vor. Zu den Darlegungserfordernissen einer Sachaufklärungsrüge z. B. BFH v. 29.01.2014, III B 106/13, BFH/NV 2014, 705; BFH v. 18.03.2014, V B 24/13, BFH/NV 2014, 1101; BFH v. 03.05.2014, III B 25/13, BFH/NV 2014, 1235. Zu beachten ist, dass § 79b FGO es dem Vorsitzenden bzw. dem Berichterstatter ermöglicht, die Beteiligten unter Setzung einer Frist zum Sachvortrag, zur Benennung von Beweismitteln sowie zur Vorlage von bestimmten Beweismitteln anzuhalten, wobei die Nichteinhaltung der Frist zur Begrenzung der Ermittlungspflicht des Gerichts unter Ausschluss nachträglicher Erklärungen und Beweismittel führen kann. Im Einzelnen s. § 79b FGO Rz. 10. Erstreckt sich die Amtsermittlungspflicht in allererster Linie auf den entscheidungserheblichen Sachverhalt, so hat das FG als Tatsacheninstanz auch die Aufgabe, eventuell maßgebendes ausländisches Recht gem. § 155 Satz 1 FGO i. V. m. § 293 ZPO von Amts wegen zu ermitteln. Wie das FG das ausländische Recht ermittelt, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen (BFH v. 19.01.2017, IV R 50/14, BStBl II 2017, 456).
Tz. 3
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Das FG muss nur die zumutbaren Aufklärungsmaßnahmen ergreifen. Die Verpflichtung des FG zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen bedeutet nicht, dass jeder fernl...