Schrifttum
Bilsdorfer, Der Rechtsanwalt und die mündliche Verhandlung vor dem Finanzgericht, NJW 2001, 331;
Lemaire, Die drei Phasen der mündlichen Verhandlung, AO-StB 2002, 348;
Redeker, Mündliche Verhandlung – Sinn und Wirklichkeit, NJW 2002, 192;
Mack, Die mündliche Verhandlung, AO-StB 2004, 443.
Tz. 1
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die mündliche Verhandlung des Rechtsstreites vor dem erkennenden Gericht bildet eine Einheit, auch wenn zu ihrer Durchführung mehrere Termine (Sitzungstage) benötigt werden. Sie kann "vertagt" oder – nach ihrem Schluss (§ 93 Abs. 3 FGO) – wieder eröffnet werden, ohne dass es eines erneuten Sachvortrages und erneuter Stellung der Anträge bedarf. Eine solche "Vertagung" ist als bloße Unterbrechung der mündlichen Verhandlung zu werten. Von einer solchen, die Einheit der Verhandlung nicht berührenden Unterbrechung ist im Zweifel auszugehen, wenn in der mündlichen Verhandlung bereits Beweise erhoben worden sind (BFH v. 15.03.1977, VII R 122/73, BStBl II 1977, 431). Die mündliche Verhandlung kann ohne Wiederholung der bisherigen prozessualen Vorgänge vor denselben Richtern in einem weiteren Termin fortgesetzt werden. Anders hingegen bei Wechsel auf der Richterbank (§ 103 FGO): Hier muss die Sache neu vorgetragen und ohne Rücksicht auf die frühere Verhandlung neu verhandelt werden. Frühere Beweisaufnahmen müssen nach der hier vertretenen Auffassung grds. wiederholt werden, sofern nicht alle Beteiligten ihr Einverständnis damit erklären, dass der Inhalt der entsprechenden Niederschriften lediglich verlesen und zum Gegenstand der nunmehrigen mündlichen Verhandlung gemacht wird (s. § 81 FGO Rz. 4).
Tz. 2
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Durch § 92 Abs. 3 FGO wird der Hauptzweck der mündlichen Verhandlung, die Gewährung des rechtlichen Gehörs, dokumentiert. Zur Leitung der mündlichen Verhandlung durch den Vorsitzenden bzw. Einzelrichter (§ 92 Abs. 1 FGO) gehört auch die Worterteilung an die Beteiligten. Sie reicht zur Gewährung des rechtlichen Gehörs aus, wenn sichergestellt ist, dass ausreichend Gelegenheit gegeben wird, sich zum Streitstoff in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu äußern (BFH v. 16.11.1971, VIII R 4/69, BStBl II 1973, 825). Eine straffe Verhandlungsführung mit dem Ziel, überflüssige Äußerungen zu unterbinden, enthält keinen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs. Unterbrechungen, die für unberechtigt gehalten werden, müssen noch in der Instanz gerügt werden, sonst wird ein (zulässiger) Verzicht auf das rechtliche Gehör unterstellt (BFH v. 05.10.1967, V B 29/67, BStBl II 1968, 179). Es müssen die vorhandenen prozessualen Möglichkeiten, sich ausreichendes rechtliches Gehör zu verschaffen, ausgenutzt werden, insbes. ggf. Antrag auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit wegen eines Wortentzugs oder einer Unterbrechung gestellt werden (BVerwG v. 03.12.1979, 2 B 16/78, HFR 1981, 289).
Tz. 3
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die mündliche Verhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache (§ 92 Abs. 2 FGO). Danach trägt der Vorsitzende oder der Berichterstatter den wesentlichen Inhalt der Akten vor, damit zwischen den Beteiligten und dem Gericht, insbes. auch den ehrenamtlichen Richtern, feststeht, welcher Tatsachenstoff verhandelt wird. Die Verpflichtung des FG zum Vortrag des wesentlichen Akteninhalts (bzw. seiner vorherigen schriftlichen Übersendung) gibt den Beteiligten indessen kein Einsichtsrecht in das Manuskript des Sachvortrags bzw. in sonstige Aufzeichnungen des Berichterstatters (vgl. BFH v. 26.05.2010, V B 70/09, BFH/NV 2010, 1873; auch s. § 78 FGO Rz. 3). Die Praxis bei manchen FG, den späteren Urteilstatbestand mehrere Tage vor der mündlichen Verhandlung den Beteiligten und den ehrenamtlichen Richter zu übersenden, begegnet keinen Bedenken. Die Beteiligten erhalten in diesem Fall in der mündlichen Verhandlung Gelegenheit, die Ergänzung des Tatbestands zu beantragen, und verzichten in der Regel auf den mündlichen Vortrag des wesentlichen Inhalts der Akten. Diese Verfahrensweise ist im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs ohne Weiteres zulässig (vgl. BFH v. 25.10.2000, I B 117/00, BFH/NV 2001, 470; Brandis, in Tipke/Kruse, § 92 FGO Rz. 6; Herbert in Gräber, § 92 FGO Rz. 8; Schallmoser in HHSp, § 92 FGO Rz. 47; Wendl in Gosch, § 93 FGO Rz. 58). Dass der Berichterstatter "während des informellen Vorgespräches der Verfahrensbeteiligten mit dem Vorsitzenden bzw. diesem und den anderen Richtern" noch nicht zugegen war, begründet im Hinblick auf § 92 Abs. 2 FGO keinen Verfahrensfehler (BFH v. 05.02.2015, X B 117/14, BFH/NV 2015, 659).
Tz. 4
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Für die Beurteilung des Klagebegehrens und der Frage, ob sich das Gericht an das Klagebegehren hält, sind die in der mündlichen Verhandlung gem. § 92 Abs. 3 FGO gestellten und protokollierten (§ 94 FGO i. V. m. § 160 Abs. 3 Nr. 2 ZPO) Anträge maßgeblich (vgl. z. B. BFH v. 10.06.2014, IX B 157/13, BFH/NV 2014, 1559). Das bedeutet, das FG darf über das zuletzt in der mündlichen Verhandlung e...