Schrifttum
Loschelder, Das vereinfachte FG-Verfahren ohne mündliche Verhandlung, AO-StB 2003, 310;
Bartone, Das neue Gerichtskostengesetz in der Beratungspraxis, AO-StB 2005, 22;
Loschelder, Kein Urteil im vereinfachten Verfahren nach § 94a FGO ohne vorherigen richterlichen Hinweis, AO-StB 2009, 272.
Tz. 1
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 94a FGO erlaubt es dem Gericht, das Verfahren unter bestimmten Voraussetzungen (s. Rz. 2) nach billigem Ermessen zu bestimmen, um eine Entlastung herbeizuführen. Die Vorschrift gilt auch in den Verfahren, die dem Einzelrichter nach § 6 FGO zur Entscheidung zu übertragen sind, auch für den Berichterstatter als konsentierten Einzelrichter (§ 79a Abs. 3 und Abs. 4 FGO). § 94a FGO gilt nicht im Revisionsverfahren (§ 121 Satz 2 FGO).
Tz. 2
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 94a FGO gilt nur für Klagen, die eine Geldleistung oder einen darauf gerichteten Verwaltungsakt betreffen, und nur dann, wenn der Streitwert 500 EUR nicht übersteigt. Dies gilt z. B. sowohl für Anfechtungsklagen gegen Steuerbescheide als auch für Haftungsbescheide oder GewSt-Messbescheide (BFH v. 22.02.2000, X B 116/99, juris). Unter dieser Voraussetzung lässt § 94a Satz 1 FGO es zu, das Verfahren nach billigem Ermessen zu bestimmen, und zwar ungeachtet des Mindeststreitwerts in Höhe von 1 500 EUR (§ 52 Abs. 4 Nr. 1 GKG; Bartone, AO-StB 2005, 22). Denn hierbei handelt es sich lediglich um den Gebührenstreitwert (auch s. Vor § 135 FGO Rz. 96; wie hier BFH v. 28.07.2008, IX B 131/08, BFH/NV 2008, 1696). Die Bestimmung des Verfahrens nach billigem Ermessen ist jedoch in den Fällen ausgeschlossen, in denen der Wert des Streitgegenstandes nicht zuverlässig nach einer konkreten Geldleistung bestimmt werden kann, sondern zu schätzen ist (BFH v. 21.01.2000, II B 15/99, BFH/NV 2000, 864; BFH v. 06.06.2001, II R 25/00, BFH/NV 2001, 1575). Abweichungen vom Untersuchungsgrundsatz (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) lässt § 94a Satz 3 FGO nicht zu. Das Recht auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO) darf durch das Verfahren nicht tangiert werden (BFH v. 23.03.1983, II R 111/81, BStBl II 1983, 432). In erster Linie wird der Grundsatz der Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung (§ 90 Abs. 1 FGO) modifiziert, denn das Gericht kann entgegen § 90 Abs. 2 FGO auch dann ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, wenn die Beteiligten sich nicht ausdrücklich damit einverstanden erklärt haben. Allerdings muss das FG, sofern es im vereinfachten Verfahren gem. § 94a Satz 1 FGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden will, nicht nur darauf hinweisen, dass es so verfahren will, sondern es muss den Beteiligten auch den Zeitpunkt mitteilen, bis zu dem sie ihr Vorbringen in den Prozess einführen können (BVerfG v. 18.11.2008, 2 BvR 290/08, NJW-RR 2009, 562; BVerfG v. 04.08.1993, 1 BvR 279/93, NJW-RR 1994, 254; BVerfG v. 14.06.1983, 1 BvR 545/82, BVerfGE 64, 203, jeweils zu § 495a ZPO; BFH v. 06.06.2016, III B 92/15, BStBl II 2016, 844). Diese Pflicht des Gerichts folgt unmittelbar aus Art. 103 Abs. 1 GG, damit die Beteiligten ggf. auf der Durchführung einer mündlichen Verhandlung bestehen können (§ 94a Satz 2 FGO; s. Rz. 3). Dazu genügt es nicht, wenn das FG nur darauf hinweist, "alsbald ein Urteil nach billigem Ermessen gem. § 94a FGO" fällen zu wollen und eine Frist ohne weitere Erläuterung ("Frist: 4 Wochen") einräumt (BFH v. 06.06.2016, III B 92/15, BStBl II 2016, 844). Vielmehr ist ein konkretes Datum mitzuteilen, bis zu dem sich die Beteiligten äußern können (gl. A. Wendl in Gosch, § 94a FGO Rz. 19). Die bislang in st. Rspr. vom BFH vertretene andere Auffassung (z. B. BFH v. 03.11.2004, X B 121/03, BFH/NV 2005, 350) ist aufgrund der vorstehend dargestellten Rspr. des BVerfG überholt BFH v. 06.06.2016, III B 92/15, BStBl II 2016, 844). Der BFH hat bislang offengelassen, ob bei grundsätzlicher Bedeutung einer Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) eine Entscheidung im vereinfachten Verfahren nach § 94a FGO ohne mündliche Verhandlung ermessensfehlerhaft wäre (BFH v. 25.03.2008, VIII B 148/07, BFH/NV 2008, 1148; für Ermessensfehler: Wendl in Gosch, § 94a FGO Rz. 12; Schallmoser in HHSp, § 94a FGO Rz. 19; Brandis in Tipke/Kruse, § 94a FGO Rz. 2).
Tz. 3
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Nach § 94a Satz 2 FGO muss auf Antrag eines Beteiligten mündlich verhandelt werden. Jeder Beteiligte kann also die Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch einen darauf gerichteten Antrag erzwingen. Auf diese Antragsmöglichkeit braucht das FG indessen nicht hinzuweisen, wenn der Kläger durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten ist (BFH v. 03.11.2004, X B 121/03, BFH/NV 2005, 350). Ansonsten besteht auch in Bezug auf § 94a Satz 2 FGO eine Hinweispflicht (Herbert in Gräber, § 94a FGO Rz. 5). Ein Antrag nach § 94a Satz 2 FGO kann auch konkludent gestellt werden (BFH v. 18.01.2011, VI B 136/10, BFH/NV 2011, 813; BFH v. 10.03.2011, VI B 147/10, BFH/NV 2011, 1073). Er liegt z. B. auch in der Absichtserklärung, die Sachanträge in der mündlichen Verhandlung...