Tz. 1
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Aufgrund des Verweises in § 155 Satz 1 FGO gelten die §§ 17 bis 17b GVG auch für die Finanzgerichtsbarkeit. Zur Anwendung der §§ 17 bis 17b GVG bei örtlicher und/oder sachlicher Unzuständigkeit des angerufenen FG s. § 70 FGO. § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG regelt, dass die Zulässigkeit des konkret beschrittenen Rechtswegs (auch in sachlicher und örtlicher Hinsicht) nicht durch nach Rechtshängigkeit (§ 66 FGO) eintretende Veränderungen der sie begründenden Umstände berührt wird (perpetuatio fori; z. B. BFH v. 19.05.2008, V B 29/07, BFH/NV 2008, 1501). Unerheblich ist, ob die Veränderung auf Umstände tatsächlicher oder rechtlicher Art beruht. Die Fortdauer der Zuständigkeit des Gerichts wird folglich auch nicht durch gesetzliche Änderungen (Eröffnung eines anderen Rechtswegs nach Rechtshängigkeit) berührt (BFH v. 12.11.1980, VII B 8/80, BStBl II 1981, 136; BFH v. 21.07.1981, VII B 61/80, juris), es sei denn, das Gesetz selbst trifft abweichende Regelungen. Abweichungen können kraft Gesetzes (§ 3 Abs. 1 Nr. 6 FGO) in den Fällen des § 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 4 FGO angeordnet werden (s. § 3 FGO Rz. 1). Da die Rechtswegzuständigkeit streitgegenstandbezogen ist, ist bei einer Klageänderung (§ 67 FGO) die Zulässigkeit neu zu überprüfen. Zum Begriff des Streitgegenstands s. § 65 FGO Rz. 4. Allerdings kann ein Verweisungsbeschluss i. S. des § 17a Abs. 4 GVG i. V. m. § 155 Satz 1 FGO wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der perpetuatio fori bei offensichtlicher Fehlerhaftigkeit unwirksam sein (BFH v. 20.12.2004, VI S 7/03, BStBl II 2005, 573; s. Anh. zu § 33 FGO § 17a GVG Rz. 1).
Tz. 2
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 17 Abs. 1 Satz 2 GVG ordnet die Sperrwirkung der Rechtshängigkeit für eine denselben Streitgegenstand betreffende Klage an (z. B. von Beckerath in Gosch, § 33 FGO Rz. 363; Lückemann in Zöller, § 17 GVG Rz. 1). Eine weitere derartige Klage, vor welchem Gericht auch immer sie erhoben wird, ist unzulässig (auch BFH v. 08.10.1985, VIII R 78/82, BStBl II 1986, 302). Die Sperrwirkung wegen anderweitiger Rechtshängigkeit bewirkt eine von Amts wegen zu beachtende negative Sachentscheidungsvoraussetzung (s. Vor FGO Rz. 39). Auch unzulässige Klagen lösen die Sperrwirkung aus.
Tz. 3
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Nach § 17 Abs. 2 GVG entscheidet das Gericht – soweit nicht die grundgesetzliche Rechtswegzuweisung an die ordentlichen Gerichte eingreift (§ 17 Abs. 2 Satz 2 GVG, Art. 34 Satz 3 GG i. V. m. § 839 BGB, Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG) – den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. Es hat nicht nur über alle bürgerlich-rechtlichen, verwaltungsrechtlichen etc. Vorfragen zu entscheiden, sondern ist auch dann, wenn der Klageanspruch auf mehrere, verschiedenen Rechtswegen zugeordnete Gründe gestützt wird, zur Entscheidung über sämtliche Gründe verpflichtet, sofern der Rechtsweg (§ 33 FGO) jedenfalls für einen von ihnen gegeben ist (sog. gemischte Rechtsverhältnisse; dazu auch BVerwG v. 15.12.1992, 5 B 144/91, NVwZ 1993, 358). Eine Grenze findet die Kompetenz dort, wo Bindung an die Entscheidung anderer Gerichte oder von Behörden besteht (auch s. § 74 FGO). Die erweiterte Entscheidungskompetenz greift nicht ein bei objektiver Klagehäufung mit unterschiedlicher Rechtswegzuweisung sowie bei entsprechenden selbständigen Hilfsanträgen (Anträge des vorläufigen Rechtsschutzes und Prozesskostenhilfeanträge). Grds. nicht in Betracht kommt die Entscheidung über eine rechtswegfremde Gegenforderung, die bestritten und noch nicht rechtskräftig festgestellt ist, wenn im Finanzrechtsstreit vom Kläger eine Aufrechnung geltend gemacht wird; § 17 Abs. 1 Satz 2 GVG gilt zwar grds. auch für die Aufrechnung, aber nicht uneingeschränkt (z. B. BFH v. 19.02.2007, VII B 253/06, BFH/NV 2007, 968; BFH v. 01.08.2017, VII R 12/16, BFH/NV 2018, 263; Lückemann in Zöller, § 17 GVG Rz. 10, auch s. § 33 FGO Rz. 1, s. § 74 FGO Rz. 3). Wenn die Entscheidung über die zur Aufrechnung gestellte (rechtswegfremde) Forderung aber in die Zuständigkeit eines Gerichts eines anderen Rechtswegs fällt, darf das FG grds. nicht darüber entscheiden. Dies gilt ausnahmsweise nur dann nicht, wenn bei der Entscheidung des FG über die Aufrechnung die Gefahr ausgeschlossen ist, dass das FG als an sich nicht zuständiges Gericht mit Bindungswirkung gegenüber den nach der Rechtswegzuweisung entscheidungsbefugten Gerichten über das Nichtbestehen der zur Aufrechnung gestellten Forderung entscheidet. Hat die Entscheidung des FG in Bezug auf das Bestehen oder Nichtbestehen der rechtswegfremden Forderung keine Bindungswirkung, darf das FG darüber entscheiden (BGH v. 01.08.2017, VII R 12/16, BFH/NV 2018, 263).