5.1 Örtlicher Anwendungsbereich
Rz. 57
Die EU-Erbrechtsverordnung gilt örtlich für alle Mitgliedstaaten der EU mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs, Irlands und Dänemarks.
Rz. 58
Der sachliche Anwendungsbereich ist in Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EU-ErbVO geregelt. Er erstreckt sich auf die Rechtsnachfolge v. T. w., d. h. auf jede Form des Übergangs von Vermögenswerten, Rechten und Pflichten v. T. w., unabhängig davon, ob sie im Wege der gewillkürten Erbfolge durch Verfügung v. T. w. oder im Wege der gesetzlichen Erbfolge (Art. 3 Abs. 1 Buchst. a EU-ErbVO) erfolgt. Die EU-Erbrechtsverordnung gilt nicht für Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten. Des Weiteren sind ausgenommen bestimmte Rechtsgebiete des Zivilrechts, die mit der Rechtsnachfolge v. T. w. häufig als Vorfragen in Zusammenhang stehen, z. B. Personenstand, Geschäftsfähigkeit, Güterstand, Unterhaltspflichten, Gesellschaftsrecht, Rechte, die auf andere Weise als durch Verfügung v. T. w. übergehen, Trusts, dingliche Rechte (Art. 1 Abs. 2 EU-ErbVO). Die EU-Erbrechtsverordnung umfasst auch nicht die Zuständigkeit in Erbsachen innerhalb der Mitgliedstaaten (Art. 2 EU-ErbVO). Auch unter dem Kollisionsrecht der EU-Erbrechtsverordnung werden bisher bestehende Probleme, die daraus resultieren, dass z. B. gesellschaftsrechtliche und erbrechtliche Fragestellungen aufgrund der unterschiedlichen Anknüpfung im Kollisionsrecht verschiedenen Rechtsordnungen unterworfen werden, weiterbestehen.
Rz. 59
Die Regelungen der EU-Erbrechtsverordnung finden auf die Rechtsnachfolge v. T. w. von Personen Anwendung, die am oder nach dem 17.08.2015 verstorben sind (Art. 83 Abs. 1 EU-ErbVO). Weiterhin sind verschiedene Regelungen vorgesehen, die einen Schutz von letztwilligen Verfügungen beinhalten, die vor dem vorstehenden Stichtag errichtet wurden. Dennoch sollten letztwillige Verfügungen, die einen Auslandsbezug aufweisen oder künftig einen solchen aufweisen könnten, im Hinblick auf das Kollisionsrecht überprüft und gegebenenfalls an die nunmehr bestehende Rechtslage angepasst werden.
5.2 Erbstatut
Rz. 60
Kap. III der EU-Verordnung regelt das Kollisionsrecht. Hierbei gilt, dass das entsprechend den Regelungen der EU-Erbrechtsverordnung ermittelte Recht auch dann anzuwenden ist, wenn es nicht das Recht eines der Mitgliedstaaten ist (Art. 20 EU-ErbVO). Die Verordnung ist somit "loi uniforme". Weiterhin wird ausdrücklich klargestellt, dass Rück- und Weiterverweisungen angenommen werden (Art. 34 EU-ErbVO, siehe oben unter Rz. 46 ff.).
Ein deutscher Staatsbürger, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt und aus Sicht Kanadas auch sein Domicile zuletzt in Kanada hatte, verstirbt in Kanada. Er hinterlässt dort unter anderem ein Grundstück.
Lösung:
Auf die Rechtsnachfolge v. T. w. findet das Recht des Aufenthaltsstaates Anwendung (Art. 21 EU-ErbVO), vorliegend also das Recht Kanadas. Dieses verweist in seinen Kollisionsregelungen für unbewegliches Vermögen auf das Recht des Belegenheitsstaates des unbeweglichen Vermögens (Lex rei sitae) und damit auf das materielle Erbrecht Kanadas.
Rz. 61
Grundsatznorm für die Anknüpfung ist Art. 21 EU-ErbVO. Es wird an den gewöhnlichen Aufenthalt des EL im Zeitpunkt seines Todes angeknüpft. Ergeben sich ausnahmsweise Anhaltspunkte für eine offensichtlich andere engere Verbindung im Zeitpunkt des Todes des EL, so ist das Recht des Staates, zu dem diese engeren Verbindungen bestehen, anzuwenden.
Aus deutscher Sicht geht mit der Anwendung der EU-ErbVO eine Änderung des Anknüpfungspunktes für das Erbstatut einher. Nach der vor Anwendung der EU-ErbVO geltenden Norm des Art. 25 EGBGB wurde an das Heimatrecht des jeweiligen EL angeknüpft. Dies hatte zur Folge, dass auf den Nachlass eines beispielsweise in Frankreich lebenden und versterbenden deutschen Staatsbürgers, aus deutscher Sicht grds. deutsches Erbrecht anwendbar war.
Rz. 62
Eine Legaldefinition des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthaltes fehlt in der Verordnung. Der Begriff bedarf daher der Auslegung, die Entwicklung durch die Rechtsprechung des EuGH bzw. der nationalen Gerichte wird weiter abzuwarten sein. Die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt ist nicht ebenso klar definierbar wie die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit des EL.
Rz. 63
Wie bereits dargelegt (Rz. 17 f.), wird in der ganz überwiegenden Zahl der Erbfälle die Zuordnung zu einer einzigen Rechtsordnung ohne größere Zweifel und Auslegungsfragen möglich sein. Im Einzelfall kann die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts jedoch mit erheblichen Unsicherheiten verbunden sein. Bei zweifelhaften Fällen wird sich damit die Interpretation des Art. 21 Abs. 1 EU-ErbVO sowohl an der Auslegung des Begriffs durch den EuGH als auch an den Besonderheiten im erbrechtlichen Kontext, wie sie insb. in den Erwägungsgründen 23 und 24 zum Ausdruck kommen, orientieren.
So setzt der Erwägungsgrund 23 voraus, dass die "befasste Behörde eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des EL in den Jahren vor seinem Tod und im Zeitpunkt seines Todes vorzunehmen und dabei alle relev...