Rz. 85
Die EU-Erbrechtsverordnung unterscheidet zwischen dem auf die materielle Wirksamkeit der letztwilligen Verfügung und dem auf ihre Form anwendbaren Recht. Die materielle Wirksamkeit für Testamente, Erbverträge und gemeinschaftliche Testamente ist unterschiedlich geregelt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Definition der Begriffe "Verfügung von Todes wegen" (Art. 3 Abs. 1 Buchst. d EU-ErbVO), "gemeinschaftliches Testament" (Art. 3 Abs. 1 Buchst. c EU-ErbVO) und "Erbvertrag" (Art. 3 Abs. 1 Buchst. b EU-ErbVO) autonom nach der EU-Erbrechtsverordnung und nicht nach dem deutschen materiellen Erbrecht erfolgt.
Rz. 86
Mit Ausnahme von Erbverträgen unterliegen die Zulässigkeit und die materielle Wirksamkeit von Verfügungen v. T. w. dem Recht, das nach der EU-ErbVO auf die Rechtsnachfolge v. T. w. anzuwenden wäre, wenn der Verfügende zu diesem Zeitpunkt verstorben wäre ("hypothetisches Erbstatut"), (Art. 24 EU-ErbVO). Durch die Anknüpfung an den Zeitpunkt der Verfügungserrichtung wird sichergestellt, dass ein späterer Wechsel des Erbstatuts, z. B. aufgrund eines Wechsels des gewöhnlichen Aufenthaltes, sich nicht auf die Zulässigkeit oder Wirksamkeit der letztwilligen Verfügung auswirkt.
Rz. 87
Da auch im Hinblick auf gemeinschaftliche Testamente auf das Erbstatut des jeweils Verfügenden abgestellt wird (Art. 24, 3 Abs. 1 Buchst. d EU-ErbVO), ist insoweit das jeweilige Erbstatut der Verfügenden zu berücksichtigen. Nur wenn die Erbstatute aller Beteiligten ein gemeinschaftliches Testament als zulässig und materiell wirksam erachten, kann ein solches auch nach der EU-ErbVO zulässig und materiell wirksam errichtet werden. In jedem Fall empfiehlt es sich, bei gemeinschaftlichen Testamenten von der Rechtswahlmöglichkeit des Art. 24 Abs. 2 EU-ErbVO Gebrauch zu machen, da eine Rechtswahl geeignet ist, die Wirksamkeit der letztwilligen Verfügung zu sichern.
Rz. 88
Bei Erbverträgen differenziert Art. 25 EU-ErbVO dahingehend, ob die getroffenen Verfügungen nur den Nachlass einer (Abs. 1) oder den Nachlass mehrerer Personen (Abs. 2) regeln.
Nach Absatz 1 unterliegen Fragen der Zulässigkeit, der materiellen Wirksamkeit und der Bindungswirkung eines Erbvertrages sowie die Voraussetzungen seiner Auflösung ebenfalls dem hypothetischen Erbstatut. Nach Absatz 2 richtet sich nur die Zulässigkeit des Erbvertrages nach dem hypothetischen Erbstatut des jeweils Verfügenden. Dies bedeutet, dass ein Erbvertrag nur dann zulässig ist, wenn er nach sämtlichen beteiligten Rechtsordnungen zulässig wäre. Die materielle Wirksamkeit sowie die Bindungswirkungen von Erbverträgen nach Absatz 2 werden einheitlich an diejenige Rechtsordnung angeknüpft, zu der die engste Verbindung besteht.
Rz. 89
Die Handhabung dieser Vorschrift in der Praxis wird voraussichtlich noch der gerichtlichen Rechtsfortbildung bedürfen. Die EU-Erbrechtsverordnung enthält keine Definition für die Bestimmung der "engsten Verbindung". Diese Lücke kann nur im Wege der Auslegung geschlossen werden. Insoweit besteht hinsichtlich der Anerkennung der Bindungswirkungen von Erbverträgen weiterhin eine Rechtsunsicherheit, die erst durch eine gefestigte Rechtsprechung des EuGH geschlossen werden kann. In der Gestaltungspraxis sollte daher – soweit möglich – von der Möglichkeit der Rechtswahl Gebrauch gemacht werden (Art. 25 Abs. 3, Art. 22 EU-ErbVO).
Das Problem der Anerkennung von Erbverträgen im Ausland wird ebenfalls nur teilweise beseitigt. Auch hier wird der Berater weiterhin die Rechtsfolgen sorgfältig prüfen müssen.