5.5.1 Internationale Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen
Rz. 90
Zunächst ist festzuhalten, dass die verwendete Legaldefinition für "Gericht" weiter gefasst ist als im deutschen Sprachgebrauch (Art. 3 Abs. 2 EU-ErbVO). Gericht i. S. d. Verordnung kann auch ein Notar sein, der nach dem jeweiligen nationalen Recht gerichtliche Funktion ausübt oder aufgrund einer Übertragung von Befugnissen durch oder unter Aufsicht eines Gerichtes tätig ist.
Zuständig für Entscheidungen in Erbsachen ist in der Regel das Gericht des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der EL im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (Art. 4 EU-ErbVO). Hatte der EL seinen gewöhnlichen Aufenthalt in keinem Mitgliedstaat, ist subsidiär das Gericht in dem Mitgliedstaat zuständig, in dem sich Nachlassvermögen befindet (Art. 10 EU-ErbVO), sofern der EL Staatsangehöriger dieses Mitgliedstaates war oder in den letzten fünf Jahren vor Anrufung des Gerichts dort seinen vorhergehenden gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Für den Fall einer Rechtswahl durch den EL besteht die Möglichkeit, eine Gerichtsstandsvereinbarung zu treffen (Art. 5 EU-ErbVO).
Rz. 91
Die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen werden in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf (Art. 39 EU-ErbVO). In der Sache selbst findet keine Nachprüfung statt (Art. 41 EU-ErbVO). Die in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung wird nur dann nicht anerkannt, wenn (Art. 40 EU-ErbVO):
- ein offensichtlicher Widerspruch zum Ordre public des Mitgliedstaates vorliegt, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird (d. h., wenn ein Verstoß gegen die wesentlichen Grundsätze der Rechtsordnung dieses Mitgliedstaates vorliegt),
- dem Beklagten die Einlassung nicht möglich war,
- die Entscheidung mit einer bereits ergangenen Entscheidung zwischen denselben Parteien in dem Mitgliedstaat unvereinbar ist, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird,
- die Entscheidung mit einer früheren anerkannten Entscheidung unvereinbar ist, die in einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittstaat in einem Verfahren zwischen denselben Parteien wegen desselben Anspruchs ergangen ist.
Die Vollstreckung regeln Art. 43–58 EU-ErbVO.
5.5.2 Öffentliche Urkunden und gerichtliche Vergleiche
Rz. 92
Kap. V regelt die Annahme und Vollstreckbarkeit von öffentlichen Urkunden (Legaldefinition in Art. 3 Abs. 1 Buchst. i EU-ErbVO) und gerichtlichen Vergleichen. Neu aufgenommen wurde hier die "Annahme" der Urkunde, d. h. die Feststellung, dass eine öffentliche Urkunde, die in einem Mitgliedstaat errichtet wurde, im anderen Mitgliedstaat dieselbe Beweiskraft entfaltet wie im Ursprungsmitgliedstaat. Voraussetzung ist, dass kein offensichtlicher Ordre-public-Verstoß vorliegt.
Die Vollstreckbarkeit richtet sich nach denselben Grundsätzen wie die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen (Art. 60, Art. 45–58 EU-ErbVO).
5.5.3 Europäisches Nachlasszeugnis
Rz. 93
Eine weitere Neuerung in der EU-Erbrechtsverordnung ist die Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses. Dieses wird zur Verwendung in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt (Art. 62 Abs. 1 EU-ErbVO) und soll ermöglichen (Art. 63 EU-ErbVO), dass Erben, Vermächtnisnehmer mit unmittelbarer Berechtigung am Nachlass und Testamentsvollstrecker sich in einem anderen Mitgliedstaat auf ihre Rechtsstellung berufen bzw. ihre Rechte dort ausüben können. Das Europäische Nachlasszeugnis ist somit eine in allen Mitgliedstaaten anerkannte einheitliche Bescheinigung über die Rechtsstellung und Befugnisse als Erbe, (in bestimmten Fällen) Vermächtnisnehmer oder Testamentsvollstrecker sowie ein Nachweis über eine etwaige Zuweisung von Vermögensgegenständen, die die bestehenden Schwierigkeiten bei der Anerkennung ausländischer Erbscheine beseitigen soll. Der Inhalt des Europäischen Nachlasszeugnisses ergibt sich aus Art. 68 EU-ErbVO.
Rz. 94
Auch das Europäische Nachlasszeugnis entfaltet seine Wirkungen in allen Mitgliedstaaten, ohne dass es eines besonderen Verfahrens bedarf (Art. 69 EU-ErbVO). Es enthält einen Gutglaubensschutz für Personen, die aufgrund des Europäischen Nachlasszeugnisses Zahlungen leisten oder Vermögenswerte übertragen bzw. Vermögen von nach dem Europäischen Nachlasszeugnis ausgewiesenen Berechtigten erwerben (Art. 69 Abs. 3, 4 EU-ErbVO). Dieser Schutz kommt nicht zum Tragen, wenn die betroffene Person um die Unrichtigkeit wusste oder diese nur aufgrund grob fahrlässiger Unkenntnis nicht kannte. Auch Registereintragungen können mit dem Zeugnis bewirkt werden (Art. 69 Abs. 5 EU-ErbVO).
Rz. 95
Im Regelfall sind die Behörden des Mitgliedstaates, in dem der EL bei seinem Tod seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (Art. 64 EU-ErbVO), international zuständig für die Ausstellung des Europäischen Nachlasszeugnisses, und zwar durch ein Gericht (Art. 3 Abs. 2 EU-ErbVO) oder eine andere Behörde, die nach innerstaatlichem Recht für Erbsachen zuständig ist. Ausnahmsweise ist, wenn der EL im Zeitpunkt seines Todes keinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat hatte, das Gericht des Mitgliedstaates, dessen Staatsangehörigkeit der EL innehatte, oder das Gericht in dem Mitgli...