Rz. 93
Eine weitere Neuerung in der EU-Erbrechtsverordnung ist die Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses. Dieses wird zur Verwendung in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt (Art. 62 Abs. 1 EU-ErbVO) und soll ermöglichen (Art. 63 EU-ErbVO), dass Erben, Vermächtnisnehmer mit unmittelbarer Berechtigung am Nachlass und Testamentsvollstrecker sich in einem anderen Mitgliedstaat auf ihre Rechtsstellung berufen bzw. ihre Rechte dort ausüben können. Das Europäische Nachlasszeugnis ist somit eine in allen Mitgliedstaaten anerkannte einheitliche Bescheinigung über die Rechtsstellung und Befugnisse als Erbe, (in bestimmten Fällen) Vermächtnisnehmer oder Testamentsvollstrecker sowie ein Nachweis über eine etwaige Zuweisung von Vermögensgegenständen, die die bestehenden Schwierigkeiten bei der Anerkennung ausländischer Erbscheine beseitigen soll. Der Inhalt des Europäischen Nachlasszeugnisses ergibt sich aus Art. 68 EU-ErbVO.
Rz. 94
Auch das Europäische Nachlasszeugnis entfaltet seine Wirkungen in allen Mitgliedstaaten, ohne dass es eines besonderen Verfahrens bedarf (Art. 69 EU-ErbVO). Es enthält einen Gutglaubensschutz für Personen, die aufgrund des Europäischen Nachlasszeugnisses Zahlungen leisten oder Vermögenswerte übertragen bzw. Vermögen von nach dem Europäischen Nachlasszeugnis ausgewiesenen Berechtigten erwerben (Art. 69 Abs. 3, 4 EU-ErbVO). Dieser Schutz kommt nicht zum Tragen, wenn die betroffene Person um die Unrichtigkeit wusste oder diese nur aufgrund grob fahrlässiger Unkenntnis nicht kannte. Auch Registereintragungen können mit dem Zeugnis bewirkt werden (Art. 69 Abs. 5 EU-ErbVO).
Rz. 95
Im Regelfall sind die Behörden des Mitgliedstaates, in dem der EL bei seinem Tod seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (Art. 64 EU-ErbVO), international zuständig für die Ausstellung des Europäischen Nachlasszeugnisses, und zwar durch ein Gericht (Art. 3 Abs. 2 EU-ErbVO) oder eine andere Behörde, die nach innerstaatlichem Recht für Erbsachen zuständig ist. Ausnahmsweise ist, wenn der EL im Zeitpunkt seines Todes keinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat hatte, das Gericht des Mitgliedstaates, dessen Staatsangehörigkeit der EL innehatte, oder das Gericht in dem Mitgliedstaat, in dem der EL einen vorhergehenden letzten Aufenthalt hatte, sofern die Aufgabe dieses Aufenthalts nicht schon fünf Jahre zurückliegt, zuständig. Ergibt sich nach diesen Regelungen keine Zuständigkeit für Gerichte eines Mitgliedstaates, ist eine Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaates, in dem Vermögen des EL belegen ist, gegeben.
Rz. 96
Eine Änderung oder ein Widerruf des Europäischen Nachlasszeugnisses ist nur möglich, wenn das Zeugnis oder einzelne Teile hiervon fehlerhaft sind (Art. 71 EU-ErbVO). Erforderlich ist in diesem Fall ein Antrag einer Person, die ein berechtigtes Interesse nachweist. Soll ein Widerruf von Amts wegen erfolgen, muss dieser nach dem innerstaatlichen Recht zulässig sein (in Deutschland gem. § 2361 BGB).
Rz. 97
Das Europäische Nachlasszeugnis tritt nicht an die Stelle eines inländischen Erbscheins oder einer vergleichbaren Bescheinigung ausländischen Rechts (Art. 62 Abs. 3 EU-ErbVO). Es wird abzuwarten bleiben, wie sich die Akzeptanz z. B. bei Banken gestalten wird.