1.1 Internationales Privatrecht
Rz. 1
Das türkische Internationale Privatrecht knüpft das Erbstatut grds. an das Heimatrecht (Staatsangehörigkeitsprinzip) des EL an (§ 20 IPRG). Ausgenommen hiervon ist in der Türkei belegenes unbewegliches Vermögen, welches nach dem türkischen Belegenheitsrecht vererbt wird. Befinden sich dagegen im Nachlass Immobilien, die in einem anderen Staat belegen sind, bleibt es bei der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit. Eine Rechtswahl ist nach dem IPRG nicht zulässig. Danach wird die internationale Zuständigkeit der türkischen Gerichte durch die innerstaatlichen Regelungen über die örtliche Zuständigkeit bestimmt. Die türkischen Gerichte sind daher auch international zuständig, wenn sie örtlich zuständig sind. In Erbschaftsangelegenheiten ist das Gericht am letzten Wohnsitz des EL, andernfalls das Gericht am Ort der Belegenheit der Gegenstände des Nachlassvermögens zuständig (Art. 43 IPRG, Art. 11 türk. Zivilverfahrensgesetz).
Dem Belegenheitsrecht unterliegt zudem die gesamte Nachlassabwicklung. Der Staatsangehörigkeitsgrundsatz ist auch dann nicht anwendbar, wenn keine oder mehr als eine Staatsangehörigkeit vorliegen. Bei Personen, die sowohl die türkische als auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen (Doppelstaater), kommt das türkische Erbrecht zur Anwendung (§ 4 Buchst. b IPRG). Für den Fall, dass der EL zwar mehr als eine, aber nicht die türkische Staatsbürgerschaft besitzt, wird das Heimatrecht des Staates angewandt, zu dem der EL die engsten Beziehungen besitzt (§ 4 Buchst c IPRG). Bei Staatenlosen ist das Erbstatut des Staates anzuwenden, in dem diese ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen bzw. vorübergehenden Aufenthalt begründet haben (§ 4 Buchst. a IPRG).
Rz. 2
Im Verhältnis zu Deutschland gilt für die Bestimmung des anwendbaren Rechts auch nach der Geltung der EU-Erbrechtsverordnung (EU-ErbVO) der deutsch-türkische Konsularvertrag vom 28.05.1929, welcher laut Bekanntmachung vom 26.02.1952 (BGBl II 1952, 608) für die Bundesrepublik Deutschland fortgilt. Nach Art. 75 Abs. 1 EU-ErbVO gilt aus Sicht der Bundesrepublik Deutschland grds. ein Vorrang der einschlägigen internationalen Übereinkommen, durch welche die Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Annahme der Verordnung gebunden sind, sodass die Vorschriften des jeweiligen Übereinkommens die EU-ErbVO verdrängen. Auch in dem Übereinkommen wird für bewegliches Vermögen an das Heimatrecht des EL angeknüpft, für Immobilien gilt das Belegenheitsrecht. Es kommt somit zur Nachlassspaltung. Dadurch richten sich das gesetzliche Erbrecht, die Wirksamkeit letztwilliger Verfügungen, das Pflichtteilsrecht, die Ausschlagung der Erbschaft usw. nach dem auf den jeweiligen Spaltnachlass anzuwendenden Recht. Damit können sich für die Spaltnachlässe unterschiedliche Erbquoten (insb. auch in Hinblick auf das unterschiedliche Güterrecht) und sonstige unterschiedliche Rechtsfolgen ergeben. Die Qualifikation des beweglichen und unbeweglichen Vermögens erfolgt nach dem Recht des Belegenheitsstaates. Hinterlässt der EL mit türkischer Staatsangehörigkeit Immobilien in Deutschland, ist auf diese deutsches Recht anzuwenden. Allerdings regelt das Nachlassabkommen den in der Praxis häufig vorkommenden Fall von Mehrstaatern nicht. Besaß der EL zum Zeitpunkt seines Todes sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsangehörigkeit, ist fraglich, wie das Erbstatut zu bestimmen ist. Teilweise wird vertreten, dass in diesen Fällen das Nachlassabkommen insgesamt nicht anwendbar ist und das Erbstatut sich nach den Regelungen des deutschen bzw. türkischen internationalen Privatrechts richtet. Bei Mehrstaatigkeit wird nach beiden Rechtsordnungen jeweils der eigenen Staatsangehörigkeit der Vorrang eingeräumt (Art. 5 I 2 EGBGB; Art. 4b) IPRG), sodass es insofern zu einer Anwendungskollision kommt. Nach anderer Auffassung soll das Erbstatut in diesen Fällen nach den deutschen IPR-Regelungen zum Personalstatut Art. 25, 5 I EGBGB ermittelt werden und im Übrigen bei einer Anwendbarkeit des Belegenheitsprinzips entsprechend dem Staatsvertrag verbleiben (vgl. Kaya, ZEV 2015, 209). Bei einem deutsch-türkischen EL wird daher faktisch auf den in Deutschland befindlichen beweglichen und unbeweglichen Nachlass deutsches Recht und auf den beweglichen sowie unbeweglichen Nachlass in der Türkei türkisches Recht anzuwenden sein.
Rz. 3
Die Türkei hat das Haager Testamentsformübereinkommen ratifiziert, das auch im Verhältnis zu Deutschland vorrangig zur Anwendung kommt (Kilic in Süß, Türkei, Rn. 6).
1.2 Nationales Erbrecht
Rz. 4
Das materielle türkische Erbrecht ist wie das gesamte türkische Zivilrecht vom schweizerischen Recht geprägt. Die Erbfolge richtet sich, ähnlich dem deutschen Recht, nach dem Parentelsystem; innerhalb der Ordnung erfolgt die Bestimmung der Erben nach Stämmen. Gesetzliche Erben erster Ordnung sind die Abkömmlinge des EL und deren Nachkommen zu gleichen Teilen. Zwischen nichtehelichen Kindern bzw. Abkömmlingen und den ehelichen Kindern besteht hierbei kein Unterschied. Die nichtehelichen Abkömmlinge beerben den ...