Rz. 4
Das materielle türkische Erbrecht ist wie das gesamte türkische Zivilrecht vom schweizerischen Recht geprägt. Die Erbfolge richtet sich, ähnlich dem deutschen Recht, nach dem Parentelsystem; innerhalb der Ordnung erfolgt die Bestimmung der Erben nach Stämmen. Gesetzliche Erben erster Ordnung sind die Abkömmlinge des EL und deren Nachkommen zu gleichen Teilen. Zwischen nichtehelichen Kindern bzw. Abkömmlingen und den ehelichen Kindern besteht hierbei kein Unterschied. Die nichtehelichen Abkömmlinge beerben den Vater wie dessen eheliche Abkömmlinge, wenn diese anerkannt sind oder die Verwandtschaft durch gerichtliche Entscheidung festgestellt ist (Art. 498t ZGB). Die Vaterschaft kann hierbei auch durch Testament anerkannt werden (Art. 295 I türk. ZGB), wenn nicht bereits ein anderweitiges Abstammungsverhältnis besteht (Art. 295 III türk. ZGB). Adoptivkinder und deren Abkömmlinge erben in gleicher Weise wie die leiblichen Verwandten des EL (Art. 500 I 1 t ZGB). Das Adoptivkind wird jedoch nur Erbe des Annehmenden (Art. 314 II türk. ZGB) und nicht von dessen Verwandten, wie etwa den Eltern des Annehmenden. Es gehört daher nicht zu deren gesetzlichen Erben. Zudem besteht die Besonderheit, dass das Erbrecht zu den leiblichen Verwandten mit der Adoption nicht endet, sodass das Erbrecht des Adoptivkindes gegenüber seinen leiblichen Verwandten unberührt bleibt (Art. 500 I 2 türk. ZGB) und es damit sowohl seine leiblichen Verwandten als auch den Annehmenden beerben kann. Der Annehmende und dessen Verwandte sind jedoch selbst von der Erbschaft des Adoptierten ausgeschlossen (Art. 500 II türk. ZGB).
Erben zweiter Ordnung sind zu gleichen Teilen die Eltern des EL und deren Abkömmlinge, Erben dritter Ordnung sind die Großeltern und deren Abkömmlinge. Ist ein Elternteil vorverstorben, geht dessen Erbrecht auf seinen gesetzlichen Nachkommen in allen Graden nach Stämmen über, es sei denn, es sind keine Abkömmlinge vorhanden. In diesem Fall geht der gesamte Nachlass an den anderen Elternteil bzw. dessen Nachkommen. Sind in der dritten Ordnung beide Großelternteile väterlicher- oder mütterlicherseits, die keine Abkömmlinge mehr haben, vorverstorben, geht die Erbschaft auf die Erben der anderen Seite über. Der überlebende Ehegatte erbt neben Abkömmlingen ein Viertel, neben Erben zweiter Ordnung die Hälfte und neben Erben der dritten Ordnung drei Viertel. Sind auch keine Erben dritter Ordnung vorhanden, erbt der Ehegatte allein. Der Ehegatte erhält daneben einen güterrechtlichen Ausgleich. In der Türkei besteht seit dem 01.01.2002 der gesetzliche Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung. Es wird zwischen Eigengut und Errungenschaft unterschieden. Die Errungenschaft besteht aus den während der Ehe von dem Ehegatten erworbenen Vermögenswerten. Im Zweifel gilt zugunsten des Ehegatten sämtliches Vermögen des verstorbenen Ehegatten als Errungenschaft. Dagegen sind unter Eigengut Gegenstände und Vermögenswerte zu zählen, die ausschließlich dem persönlichen Gebrauch des Ehegatten dienen. Diese waren beim Beginn des Güterstands bereits vorhanden oder wurden später durch Erbgang oder Schenkung unentgeltlich erworben. Die Beweislast für die Zugehörigkeit zu einer der Vermögensmassen trifft den Ehegatten, der sich hierauf beruft.
Dem überlebenden Ehegatten steht ein Anspruch auf Beteiligung am Wertzuwachs des anderen Ehegatten zu. Der Wertzuwachs ergibt sich aus dem Gesamtwert der Errungenschaft zuzüglich der hinzuzurechnenden Vermögenswerte wie zum Beispiel illoyale Vermögensverfügungen sowie Ausgleichsforderungen und Abzug der hierauf lastenden Schulden. Endet der Güterstand durch den Tod eines Ehegatten, sind die güterrechtlichen Ansprüche des überlebenden Ehegatten vorab aus dem Nachlass auszugleichen. Es handelt sich um eine Nachlassverbindlichkeit.
Ein Erbrecht über den dritten Verwandtschaftsgrad hinaus kennt das türkische Recht (mit Ausnahme von Altfällen) nicht. Sind keine gesetzlichen Erben oder eine wirksame Verfügung v.T.w. vorhanden, erbt der türkische Staat als letzter gesetzlicher Erbe.
Rz. 5
Der EL kann eine letztwillige Verfügung im Wege der öffentlichen Beurkundung unter Mitwirkung von zwei Zeugen, eigenhändig oder durch mündliche Erklärung als Nottestament errichten. Erbverträge sind zulässig. Das türkische Recht sieht ein gemeinschaftliches Testament mit wechselbezüglichen Verfügungen ("Ehegattentestament") wie im deutschen Recht nicht vor. Die Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments ist nur insofern möglich, als jeder Ehegatte eine eigenständige Erklärung für die Erbfolgeregelung abgibt.
Rz. 6
Testierfähig ist grds., wer das 15. Lebensjahr vollendet hat und ‚urteilsfähig’ ist. Urteilsfähigkeit setzt voraus, dass eine Person nicht wegen ihres Kindesalters oder infolge von Geistesschwäche, Geisteskrankheit, Trunkenheit oder ähnlichen Zuständen nicht in der Lage ist, vernunftgemäß zu handeln. Der Abschluss von Erbverträgen erfordert Volljährigkeit. Das Datum der Errichtung eines handschriftlichen Testaments ist ...