Nichtzulassungsbeschwerde (BFH II B 108/17)
Entscheidungsstichwort (Thema)
Besteuerung vorheriger Erbfälle oder Schenkungen gemäß dem ErbStG 2009 nach dem 30.06.2016
Leitsatz (amtlich)
1. Nach dem 30.06.2016 werden vorherige Erbfälle oder Schenkungen gemäß dem ErbStG 2009 besteuert; für diese Erwerbe kommt es weder auf eine isolierende Auslegung der Weitergeltungsanordnung des BVerfG noch auf eine Rückwirkung des ErbStG 2016 an.
2. Der Unvereinbarkeits- und Weitergeltungsausspruch des BVerfG rechtfertigt sich als Minus gegenüber der Nichtigkeitserklärung.
3. Die gemäß § 31 BVerfGG gesetzesähnliche Bindungswirkung des Normenkontrollurteils nebst der Weitergeltungsanordnung eröffnet keine Gesetzes-Normenkontrolle gemäß Art. 100 Abs. 1 GG.
4. Erneut vorgelegt werden kann ein Gesetz nicht schon wegen vom BVerfG nicht ausdrücklich erwähnter Gesichtspunkte, sondern erst nach wesentlichen tatsächlichen oder rechtlichen Veränderungen.
Normenkette
ErbStG 2009; ErbStG 2016; BVerfGG § 13 Nr. 11, §§ 31, 35, 78, 80, 82; ErbStG; GG Art. 3, 100
Nachgehend
BFH (Beschluss vom 27.05.2019; Aktenzeichen II B 108/17) |
Tatbestand
A.
Streitig ist die Rechtmäßigkeit des sich auf den Erbfall in 2013 beziehenden Erbschaftsteuerbescheids vom 19. Juli 2016, das heißt nach Ablauf der Weitergeltungsanordnung aus dem Urteil des BVerfG vom 17. Dezember 2014 1 BvL 21/12 (BGBl. I 2015, 4; BVerfGE 138, 136; BStBl II 2015, 50; im Folgenden ErbStG-Urteil).
I. Sachstand
1. Die Erblasserin verstarb im Jahr 2013 in Hamburg (...).
2. Die Klägerin erbte von der Erblasserin in 2013 im Wesentlichen ein Mietwohngrundstück in A und ein Einfamilienhaus in B (...).
II. Verwaltungsverfahren
1. Grundbesitzwert A
a) Den Grundbesitzwert (GBW) für das Mietwohngrundstück in A stellte das dortige Finanzamt (FA) mit Bescheid vom 12. August 2014 erstmals fest (...).
b) Nach Klage beim FG C und Einigung in der mündlichen Verhandlung vom 9. Dezember 2015 stellte das in A zuständige FA den GBW mit Änderungsbescheid vom 12. Januar 2016 niedriger fest (...).
2. Grundbesitzwert B
a) Den GBW für das Einfamilienhaus in B stellte das beklagte FA erstmals mit Bescheid vom 27. August 2014 fest (...).
b) Nach Klageerhebung beim FG Hamburg und mündlicher Verhandlung vom 4. Februar 2016 (FG-A 3 K 176/15 ...) setzte das FA den GBW mit Bescheid vom 18. März 2016 herab (FG-A 3 K 176/15 ...). Darauf bezugnehmend erklärten die Beteiligten das GBW-Klageverfahren im Termin am 6. Mai 2016 übereinstimmend für erledigt (FG-A 3 K 176/15 ...).
3. Erbschaftsteuer
a) Das beklagte FA setzte die Erbschaftsteuer ursprünglich mit Bescheid vom 28. Juli 2015 fest, und zwar vorläufig nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO im Hinblick auf das ErbStG-Urteil des BVerfG und die Verpflichtung zur gesetzlichen Neuregelung (...).
b) Die Klägerin legte am 12. August 2015 Einspruch ein (...): Die Weitergeltungsanordnung für das verfassungswidrige ErbStG 2009 verletze die Garantie auf effektiven Rechtsschutz. Entgegen Art. 19 Abs. 4 GG trage hier nicht der verantwortliche Gesetzgeber das Risiko eines verfassungswidrigen Gesetzes, sondern der Bürger. Im Übrigen sei das ErbStG 2009 über die vom BVerfG angeführten Gründe hinaus verfassungswidrig. Der private Erbe werde gegenüber dem betrieblichen Erben generell schlechter gestellt. Die Zurverfügungstellung von Wohnraum, welche wie die Schaffung von Arbeitsplätzen dem Allgemeinwohl diene, werde nicht im selben Umfang begünstigt.
c) Nach dem niedrigeren GBW-Bescheid vom 12. Januar 2016 für das Mietwohngrundstück in A setzte das beklagte FA mit Änderungsbescheid vom 26. Januar 2016 die Erbschaftsteuer herab. Der Änderungsbescheid wurde Gegenstand des nicht erledigten Einspruchsverfahrens (...).
d) Entsprechend dem niedrigeren GBW-Bescheid vom 18. März 2016 für das Einfamilienhaus in B setzte das beklagte FA mit weiterem Änderungsbescheid vom 19. Juli 2016 die Erbschaftsteuer erneut herab; das heißt nach Ablauf der im ErbStG-Urteil des BVerfG für die Weitergeltung des ErbStG bis zur Neuregelung gesetzten Frist bis zum 30. Juni 2016. Dieser Änderungsbescheid wurde Gegenstand des unerledigten Einspruchsverfahrens (...).
e) Mit Einspruchsentscheidung vom 10. November 2016 wies das beklagte FA den Einspruch als unbegründet zurück. Für die Festsetzung der Erbschaftsteuer sei weiter die bis zum 30. Juni 2016 geltende Fassung des ErbStG 2009 anzuwenden. Mit dem ErbStG-Urteil sei die angeordnete Weitergeltung des ErbStG 2009 bis zu einer Neuregelung nach § 31 BVerfGG für die Verwaltung und die Gerichte verbindlich. Für die Überprüfung der nach § 31 BVerfGG bindenden Weitergeltungsanordnung bestehe keine verfahrensrechtliche Handhabe (...). Die Einspruchsentscheidung gab das FA am selben Tag mit einfachem Brief zur Post (...).
III. Streitstand
1. Vortrag der Klägerin
Zur Begründung der am 13. Dezember 2016 erhobenen Klage trägt die Klägerin im Wesentlichen vor (...):
a) Auslegung der Weitergeltungsanordnung
Der Erbschaftsteuerbescheid vom 19. Juli 2016 überschreite die zeitliche Grenze der im ErbStG-Urteil...