Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Preißer
Die erbschaftsteuerliche Beurteilung von Betriebs-(Unternehmens-)vermögen hat sich in der jüngsten Vergangenheit weg von der Bewertung auf die Begünstigung (Steuerbefreiung) verschoben. Während in den einschlägigen Gesetzen der 1990er-Jahre noch die richtige Bemessungsgrundlage die Diskussion bestimmte, richtete sich ab der Jahrtausendwende das Hauptaugenmerk auf die Verschonung des ermittelten Vermögens. Spätestens seit 2016 konzentriert sich die Nachfolgeberatung auf die Verschonungsebene. Mit nunmehr fünf Paragraphen (§§ 13a–13d und § 28a ErbStG) repräsentieren die Bestimmungen auch die Hälfte des Gesetzestextes des kompletten ErbStG. Die Beschäftigung ist für den Berufsstand dadurch erschwert, dass die einschlägigen Normen in Computersprache abgefasst sind. Wie in Platons Höhlengleichnis müssen die fachlinguistischen Schatten freigelegt werden. Die Rechtssicherheit wird nicht dadurch erleichtert, dass in nahezu regelmäßigen Zehnjahresabständen das jeweils aktuelle Gesetz durch ein Verdikt des BVerfG aufgehoben wird, bis der neue Countdown zu laufen beginnt.
Rz. 1
Das StÄndG 1992 brachte mit der sog. verlängerten Maßgeblichkeit der Steuerbilanz für die Bewertung des vererbten bzw. verschenkten Betriebsvermögens (anstelle des früheren bewertungsrechtlich autonomen Teilwertansatzes) eine wesentliche Verbesserung und Erleichterung bei Unternehmensübertragungen mit sich. Durch das JStG 1997 erfolgten gravierende Änderungen, die weitestgehend auf den BVerfG-Beschluss vom 22.06.1995 (BStBl II 1995, 655: "Ruhen" der Vermögensteuer und Neubewertung bei der Erbschaftsteuer) zurückzuführen waren. Mit der Erhöhung der persönlichen Freibeträge für Angehörige ging eine weitere subjektive Verschonung des Familienvermögens einher. Das sog. begünstigte Vermögen (im Wesentlichen das Betriebsvermögen inkl. der "wesentlichen" Beteiligungen an Kapitalgesellschaften – die sog. "Viertel-Plus-Quote") konnte mit einem erweiterten Freibetrag von 256.000 EUR sowie einem zusätzlichen Bewertungsabschlag von ursprünglich 40 % unentgeltlich übertragen werden.
Im Entwurf eines Unternehmensnachfolgeerleichterungsgesetzes aus dem Jahre 2006 sollten die o. g. Vergünstigungen für die Übertragung von Unternehmen wieder zurückgenommen und durch eine großzügige Stundungs- und Erlasslösung ersetzt werden. Nach dem BVerfG-Beschluss vom 07.11.2006 (DStR 2007, 235) musste der vorgelegte Entwurf nochmals modifiziert werden, da das BVerfG im Beschluss vom 07.11.2006 eine gleiche Bewertung aller Vermögenskategorien mit dem gemeinen Wert gefordert hat.
Rz. 2
Neben dem Dictum über die Verfassungswidrigkeit der früheren Bewertungsvorschriften war die konsekutive Zweispurigkeit (erstens die Bewertung des übertragenen Betriebsvermögens und – davon getrennt – zweitens die grundsätzlich für zulässig erachtete Verschonung) die Hauptaussage des Karlsruher Beschlusses.
Bezogen auf Unternehmensübertragungen ab dem 01.01.2009 waren sodann auf der Basis des ErbStG (2009) die nachfolgenden Parameter zu berücksichtigen.
- Die Vorgabe des BVerfG, sich auf der ersten (Bewertungs-)Ebene einheitlich am gemeinen Wert zu orientieren, wurde vom BewG (2009) unter Berücksichtigung der Rechtsformneutralität eingehalten. Die Rechtsformneutralität garantiert innerhalb der drei Unternehmensträger (Einzelunternehmen, Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften) gleiche Bewertungsverfahren. Gleichzeitig wurde das bisherige Be-wertungsverfahren der Einzelbewertung im betrieblichen Bereich (auf der Basis der Steuerbilanzwerte) zugunsten einer Gesamtbewertung des Unternehmens aufgegeben.
- Als Hauptmethode wird – zumindest für KMU – das vereinfachte Ertragswertverfahren angewandt. Vorhandenes Verwaltungsvermögen verhinderte in toto die Verschonung, wenn bestimmte Prozentsätze überschritten wurden. Bei der Regelverschonung durfte das Verwaltungsvermögen 50 % nicht übersteigen (sog. 50 %-Test); bei der Vollverschonung wurde die Schädlichkeit bmehrals 10 % angenommenUnternehmenserben konnten zwischen den zwei Verschonungsalternativen Regelverschonung (= 5/15-Variante) und Optionsverschonung (= 7/0-Variante) entscheiden, die in dem nachfolgenden Schaubild zusammengefasst sind.
ErbStG (2009) – Überblick -
Rz. 3
Die Verschonung war durch das WachstumsBeschlG (2009) verbessert worden. Die Behaltensfristen und die maßgeblichen Lohnsummen wurden verkürzt. Die bereits zum ErbStG (2008) vorgetragenen Argumente (eine schnelle und situationsgerechte Marktanpassung erfordert eine kürzere Bindungsfrist) hatten nicht an Bedeutung verloren und sind aufgegriffen worden.
Bei Verstößen gegen die Lohnsummenregelung ("Beschäftigungsgarantie") und gegen die Verbleibensbesitzzeit wurde die Verschonung zeitanteilig (pro rata temporis) gekürzt.
Eine (rückwirkende) Komplettversagung (sog. Fallbeileffekt) gibt es nur bei Überentnahmen, die sich zwangsläufig auf den ganzen Nachfolgezeitraum beziehen.
Das JStG 2010 gelangte im Anwendungsbereich des Verwaltungsvermögens zu einer geringfügigen Änderung und näherte ansonst...