Rz. 29
Mit Urteil vom 17.12.2014, BStBl II 2015, 50 hatte das BVerfG die §§ 13a und 13b und § 19 Abs. 1 ErbStG für verfassungswidrig erklärt. Die Privilegierung des BV bei der Erbschaftsteuer war in seiner damaligen Ausgestaltung nicht in jeder Hinsicht mit Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichheitsgrundsatz) vereinbar. Die Vorschriften waren zunächst weiter anwendbar; der Gesetzgeber hatte jedoch den Auftrag, bis zum 30.06.2016 eine Neuregelung zu treffen. Dies ist letztlich durch das Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des BVerfG vom 04.11.2016 geschehen. Das Gesetz wurde am 09.11.2016 im Bundesgesetzblatt verkündet (BGBl I 2016, 2465). Die Neuregelungen in den §§ 10, 13a, 13b, 13c, 13d, 19a, 28, 28a ErbStG n. F. sind rückwirkend auf Erwerbe nach dem 30.06.2016 anwendbar. Ausweislich der Gesetzesbegründung sei der Zeitpunkt des Inkrafttretens trotz verfassungsrechtlichem Rückwirkungsverbot zulässig, da sich aufgrund der BVerfG-Entscheidung kein Vertrauen auf den Bestand des bisherigen Rechts über den 30.06.2016 hinaus gebildet haben könne. Dies ist nicht unumstritten, vgl. Crezelius, ZEV 2016, 541.
Rz. 30
Die gleichlautenden Ländererlasse vom 21.06.2016, BStBl I 2016, 646, (aufgehoben mit Erlassen vom 08.12.2016, BStBl I 2016, 1434) stehen dem nach Ansicht der FinVerw nicht entgegen. Zum damaligen Zeitpunkt stellten diese klar, dass das bis dahin geltende Recht bis zu einer Neuregelung in vollem Umfang weiter anwendbar bleibe. Dies gelte auch für Erwerbe, für die die Steuer nach dem 30.06.2016 entstehe. Aktuell ist bereits ein Erbschaftsteuer-Verfahren vor dem FG Hessen anhängig, welches sich gegen diese weitere Anwendbarkeit richtet (Az.: 1 K 963/17). Der Erwerbszeitpunkt liegt nach dem 30.06.2016 und vor Verkündung der vorstehenden Rechtsänderung. Die Kläger argumentieren, dass im Erwerbszeitpunkt kein gültiges ErbStG vorlag und beantragen, den Steuerbescheid ersatzlos aufzuheben.
Rz. 31
Die Regelung in § 13a Abs. 1 Satz 3 und 4 ErbStG n. F., die ein rückwirkendes Entfallen einer gewährten Steuerverschonung nach §§ 13a, 13b ErbStG bei einer künftigen Überschreitung der ab dem 01.07.2016 eingeführten Prüfschwelle für Großunternehmen nach § 13a Abs. 1 Satz 1 ErbStG vorsieht, gilt hingegen gem. § 37 Abs. 12 Satz 2 ErbStG erst für Erwerbe ab dem 01.07.2016. Nach – umstrittener – Ansicht der FinVerw zählt ein Erwerb vor diesem Stichtag zwar zur Berechnung der Prüfschwelle des § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG n. F. dazu (s. § 13a Rn. 31), jedoch bleibt die hierfür gewährte Steuerverschonung nach §§ 13a, 13b ErbStG a. F. unangetastet. Gleiches gilt gem. § 37 Abs. 12 Satz 3 ErbStG für den Verschonungsabschlag bei Großerwerben von begünstigtem Vermögen nach § 13c ErbStG n. F., der bei einer Zusammenrechnung von mehreren Erwerben innerhalb von zehn Jahren eine rückwirkende Anwendung der abschmelzenden Steuerverschonung auf die früheren Erwerbe regelt. Letztere können jedoch nach dem 30.06.2016 entstanden sein.
Rz. 32
Das FG Hamburg hatte sich mit seinem Urteil vom 28.04.2017 zur Weitergeltungsanordnung des BVerfG für Stichtage vor dem 30.06.2016 beschäftigt (EFG 2017, 1959). Nach Ansicht des FG galt die Weitergeltungsanordnung des BVerfG im Urteil vom 17.12.2014 bei einer stichtagsbezogenen Besteuerung bezüglich einer Verwirklichung des Sachverhalts bis zum Stichtag des Fristablaufs und nicht bezüglich späterer die Steuerfestsetzung betreffender zufälliger Daten von Bescheiden o. Ä. Die gegen das FG-Urteil eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wurde jedoch als unbegründet zurückgewiesen (BFH-Beschluss vom 27.05.2019, Az. II B 108/17). Allerdings ist inzwischen ein weiterer Fall vor dem BFH anhängig. Auch das FG Köln hatte die Frage zu entscheiden, ob für Erbfälle ab dem 01.07.2016 nach Ablauf der Weitergeltungsanordnung aus der BVerfG-Entscheidung vom 17.12.2014 bis zur Verkündung des Gesetzes zur Anpassung des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des BVerfG im BGBl am 09.11.2016 eine sog. Erbschaftsteuerpause eingetreten ist. Dann könnten für derartige Stichtage keine Erbschaft- oder Schenkungsteuerfestsetzungen vorgenommen werden (s. Kien-Hümbert in M/W, § 37 Rn. 23; Hennigfeld, DB 2019, 461; Wachter, DB 2019, 688). Das FG hatte dies in seinem Urteil vom 08.11.2018, EFG 2019, 455 abgelehnt. Die hiergegen erhobene Revision wurde beim BFH unter dem Az. II R 1/19 geführt. Inzwischen sind sämtliche Verfahren zur Frage einer möglichen Erbschaftsteuerpause erledigt, vgl. BFH vom 06.05.2021, Az. II R 1/19. Der BFH verneinte eine Besteuerungslücke. Der Gesetzgeber konnte die erbschaftsteuerrechtlichen Regelungen im November 2016 rückwirkend zum 01.07.2016 in Kraft setzen.