Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Preißer
10.1 Allgemeine Hinweise und zeitliche Anwendung
Rz. 180
Angestoßen durch die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Mattner (EuGH vom 22.04.2010, DStR 2010, 861) hatte der Gesetzgeber in § 2 Abs. 3 ErbStG für bestimmte, der beschränkten Steuerpflichtige unterliegende Vorgänge ein Wahlrecht zur unbeschränkten Steuerpflicht eingeführt (s. Koordinierter Ländererlass vom 15.03.2012, BStBl I 2012, 328). Der Steuerpflichtige konnte dadurch in den Genuss der regulären Freibeträge, anstatt des niedrigen Freibetrags bei beschränkter Steuerpflicht von nur 2000 EUR, kommen. Dies führte im Gegenzug bei ihm aber zu einer erweiterten Bemessungsgrundlage, da nicht mehr nur das Inlandsvermögen der Besteuerung in Deutschland unterlag, sondern grundsätzlich das Weltvermögen. Zudem waren Erwerbe in den vorangegangenen und den folgenden zehn Jahren entsprechend § 14 ErbStG mit einzubeziehen. Zu den Voraussetzungen für die Anwendung s. Rn. 182 f., zu den Folgen s. Rn. 183 ff. und zu Gestaltungshinweisen im Hinblick auf die Ausübung des Wahlrechts s. Rn. 6 f.
Rz. 181
Gem. § 37 Abs. 7 Satz 1 ErbStG fand § 2 Abs. 3 ErbStG Anwendung auf alle Erwerbe, für die die Steuer nach dem 13.12.2011 (Tag der Gesetzesverkündung) entstand. Nach § 37 Abs. 7 Satz 2 ErbStG konnte die Neuregelung auf Antrag auch bereits auf Erwerbe, für die die Steuer vor diesem Zeitpunkt entstand, angewandt werden, wenn die Steuerveranlagung noch nicht bestandskräftig war. Dies trug der Entscheidung des EuGH vom 22.04.2010 (a. a. O.) Rechnung, die den früheren Rechtszustand als nicht mit EU-Recht vereinbar angesehen hatte und einer weiteren Anwendung dieses Rechts in allen noch nicht bestandskräftigen Veranlagungen entgegenstand.
10.2 Voraussetzungen
Rz. 182
Von dem Wahlrecht zur unbeschränkten Steuerpflicht konnte Gebrauch gemacht werden, wenn kumulativ die folgenden Voraussetzungen vorlagen:
- Der Erwerber stellte einen Antrag. Der Antrag war formfrei, bedurfte keiner Begründung und konnte bis zur Bestandskraft der Veranlagung gestellt werden. Der Antrag war an das örtlich zuständige Finanzamt zu richten (s. Rn. 187). Bei mehreren Erben ergab sich aus dem Erbanfallprinzip, dass jeder Erwerber für seinen Vermögensanfall den Antrag unabhängig von seinen Miterben stellen konnte (s. Geck/Messner, ZEV 2011, 416). Auch im Fall der Steuerübernahme durch den Schenker konnte der Antrag nur vom Erwerber gestellt werden (s. Koordinierter Ländererlass vom 15.03.2012, a. a. O., Rn. 1).
- Zum Erwerb gehört Inlandsvermögen i. S. v. § 121 BewG. Zum Begriff des Inlandsvermögens s. Rn. 83 ff.
- Mindestens einer der Beteiligten hatte im Zeitpunkt der Entstehung der Steuer (§ 9 ErbStG) seinen Wohnsitz in der Europäischen Union oder in einem Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraums (zusätzlich zu den EU-Staaten Island, Norwegen, Liechtenstein). Dies konnte bei einer Schenkung entweder der Schenker oder der Beschenkte sein. Bei einem Erbfall konnte dies entweder der Erblasser oder ein Erwerber sein, insbesondere also ein Erbe oder Vermächtnisnehmer. Hatte der Erblasser bzw. Schenker seinen Wohnsitz im Drittland und waren an dem Vorgang mehrere Erwerber beteiligt, war davon auszugehen, dass nur bei den Erwerbern die Voraussetzungen von § 2 Abs. 3 ErbStG vorlagen, die ihren Wohnsitz in der Europäischen Union oder in einem Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraums hatten. Ein gewöhnlicher Aufenthalt in der Europäischen Union oder in einem Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraums reichte für die Anwendung von § 2 Abs. 3 ErbStG nicht.
V verstirbt. Der Nachlass besteht aus einer inländischen Immobilie. Erben sind seine Tochter T und sein Sohn S.
a) V hatte seinen Wohnsitz seit Jahren in Norwegen, T und S in den USA.
b) V hatte seinen Wohnsitz seit Jahren in der Schweiz, T in Norwegen, S in den USA.
Lösung:
a) V als einer der Beteiligten hat seinen Wohnsitz im Europäischen Wirtschaftsraum. T und S als Erben können somit den Antrag stellen.
b) Die Voraussetzungen von § 2 Abs. 3 ErbStG erfüllt nur T bezüglich ihres Erwerbs.
10.3 Folgen
Rz. 183
Die Anwendung von § 2 Abs. 3 ErbStG hatte zur Folge, dass der Vermögensanfall insgesamt den Regeln der unbeschränkten Steuerpflicht unterworfen war. Der Steuerpflichtige hatte damit Anspruch auf die deutlich höheren Freibeträge nach § 16 Abs. 1 ErbStG. Dies hatte aber auch zur Folge, dass für den Erwerb die gegenständliche Begrenzung der Bemessungsgrundlage auf das Inlandsvermögen nicht mehr zur Anwendung kam. Stattdessen erweiterte sich die Bemessungsgrundlage auf das Weltvermögen. Der Steuerpflichtige erfüllte damit aber auch die Voraussetzungen für eine Anrechnung der ausländischen Steuer nach § 21 ErbStG, die nur bei einer unbeschränkten Steuerpflicht möglich ist (s. § 21 Rn. 15 ff.).
Rz. 184
Die Anwendung von § 2 Abs. 3 ErbStG hatte zur Folge, dass auch innerhalb von zehn Jahren vor und nach dem Vermögensanfall von derselben Person anfallende Erwerbe ebenfalls der unbeschränkten Steuerpflicht unterlagen und nach Maßgabe von § 14 ErbStG zusammengerechnet wurden (§ 2 Abs. 3 Satz 2 ErbStG). Damit sollte nach d...