Dr. Stefan Königer, Dennis Helwig
Rz. 1
Betriebsvermögen wird bereits seit dem StandOG vom 13.09.1993 (BGBl I 1993, 1569) privilegiert. Sowohl die Begünstigungen für betriebliches Vermögen des ErbStG 1996 (JStG 1997 vom 20.12.1996, BGBl I 1996, 2149) als auch des ErbStRG 2009 (vom 24.12.2008, BGBl I 2008, 3018) wurden durch das BVerfG für verfassungswidrig erklärt. Die aktuellen Regelungen sind rückwirkend zum 01.07.2016 durch das Gesetz zur Anpassung des ErbStG an die Rechtsprechung des BVerfG (BGBl I 2016, 2464) in Kraft getreten und wurden durch das JStG 2020 (vom 21.12.2020, BGBl I 2020, 3131) um Abs. 9a ergänzt.
Rz. 2
Aufgrund des Urteils des BVerfG vom 07.11.2006 (1 BvL 10/02, BStBl II 2007, 192) wurde die Bewertung von Betriebsvermögen erstmalig rechtsformneutral zu Verkehrswerten i. S. d. gemeinen Werts ausgestaltet. Seit dem ErbStRG (vom 24.12.2008, BGBl I 2008, 3018) ist darüber hinaus auch sämtliches Betriebsvermögen in EU-/EWR-Staaten begünstigungsfähig (zur Begünstigung bei den Vorgängerregelungen vgl. bspw. Claussen/Thonemann-Micker in BeckOK ErbStG, § 13a Rn. 1–4). Bei Kapitalgesellschaftsanteilen wurde die Mindestbeteiligungsquote von mehr als 25 % um eine sog. Pooling-Regelung ergänzt. Bestand das Betriebsvermögen zu nicht mehr als 50 % aus Verwaltungsvermögen, fand eine 85 %ige Begünstigung Anwendung, vorausgesetzt, das Betriebsvermögen wurde sieben Jahre fortgeführt und die Lohnsumme über einen Zeitraum von sieben Jahren im Durchschnitt zu 80 % aufrechterhalten. Unter verschärften Voraussetzungen, d. h. nicht mehr als 10 % Verwaltungsvermögen, einer zehnjährigen Fortführung des Betriebs sowie einer durchschnittlichen Lohnsumme von 100 % über zehn Jahre, konnte gar eine vollumfängliche Begünstigung erreicht werden – unabhängig von der Höhe des Erwerbs. Verwaltungsvermögen, das innerhalb von zwei Jahren vor dem Übertragungszeitpunkt eingelegt wurde, war – zumindest auf Ebene der übertragenen Einheit – nicht begünstigt. Bei Todesfällen im Zeitraum zwischen 01.01.2007 und 31.12.2008 konnten die Erwerber wählen, ob das alte oder das neue Erbschaftsteuerrecht Anwendung fand.
Rz. 3
Aufgrund der harschen wirtschaftlichen Auswirkungen der Finanzkrise wurden im Rahmen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes vom 22.12.2009 (BGBl I 2009, 3950) die Behaltens- und Lohnsummenregelungen von sieben auf fünf Jahre (Regelverschonung) und von zehn auf sieben Jahre (Optionsverschonung) reduziert. Im Rahmen des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 (vom 01.11.2011, BGBl I 2011, 2131) wurde die gesonderte Feststellung der Lohnsumme und des Verwaltungsvermögens eingeführt. Missbräuchlichen Gestaltungen in Form von Cash GmbHs (& Co. KGs) hat der Gesetzgeber durch das AmtshilfeRLUmsG (vom 26.06.2013, BGBl I 2013, 1809) mit Wirkung zum 07.06.2013 einen Riegel vorgeschoben, da nunmehr auch Zahlungsmittel, Forderungen und Geld zum Verwaltungsvermögen zählen.
Rz. 4
Obwohl weite Teile der Regelungen der §§ 13a, 13b ErbStG vom BVerfG (vom 17.12.2014, 1 BvL, 21/12, BStBl II 2015, 50) nicht beanstandet wurden, wurden u. a. das "Alles-oder-Nichts-Prinzip" des Verwaltungsvermögenstests, die Anwendung der Lohnsummenregelung erst ab 21 Arbeitnehmern sowie die Begünstigung von Großunternehmen ohne Bedürfnisprüfung als verfassungswidrig angesehen.
Rz. 5
Die vom BVerfG gesetzte Reparaturfrist bis zum 30.06.2016 wurde aufgrund diverser Unstimmigkeiten zwischen der Bundesregierung und den Ländern verfehlt, so dass das Gesetz (vom 04.11.2016, BGBl I 2016, 2464) rückwirkend zum 01.07.2016 in Kraft trat. Die "Odyssee" des ErbStRG 2016 stellt sich wie folgt dar:
- Eckpunktepapier des BMF (Ende Februar 2015)
- Referentenentwurf (01.06.2015)
- Entwurf der Bundesregierung (08.07.2015, BT-Drs. 18/5923)
- Entwurf des Finanzausschusses des Bundesrats (BR-Drs. 353/15 (B))
- Stellungnahme des Bundesrats und Gegenäußerung der Bundesregierung (BT-Drs. 18/6279)
- Bundestagsbeschluss (24.06.2016, BT-Drs. 18/8911, 18/8912)
- Verweis des Bundesrats in den Vermittlungsausschuss (08.07.2016, BT-Drs. 18/9155)
- Vermittlungsausschuss (22.09.2016, BT-Drs. 18/9690)
- Gesetzentwurf (23.09.2016, BR-Drs. 18/9690)
Rz. 6
Die Rückwirkung des ErbStRG 2016 auf Stichtage zwischen dem 01.07.2016 bis maximal dem Tag der Verkündigung im BGBl führt zu vielen zusätzlichen, insb. verfassungsrechtlichen Fragestellungen (vgl. Crezelius, ZEV 2016, 367 (368); Drüen, DStR 2016, 643 (645); im Einzelnen § 37 ErbStG). Nach Auffassung des BFH (Urteil vom 06.05.2021, DStR 2021, 632) soll es im Rückwirkungszeitraum keine "erbschaft- und schenkungsteuerfreie Zeit" geben.
Rz. 7
Erstmalig hat die Finanzverwaltung die neuen Vorschriften zur Begünstigung des Betriebsvermögens in einem koordinierten Ländererlass vom 22.06.2017 geregelt (BStBl I 2017, 902). Bayern ist als einziges Bundesland u. a. aufgrund unterschiedlicher Ansichten zur Ermittlung der jungen Finanzmittel ("Kaskadeneffekt") sowie des verfügbaren Vermögens i. S. d. § 28a ErbStG ("Bruttobetrachtung") ausgeschert, hat aber in der Praxis gleichwohl weite Teile des Ländererlasses angewandt...