Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Preißer
Rz. 440
Die in § 3 Abs. 2 ErbStG aufgelisteten Tatbestände haben Ergänzungsfunktion zu den in Abs. 1 genannten Erwerbsvorgängen.
Dabei werden (s. Wälzholz in V/S/W, § 3 Rn. 212) die einzelnen "Blöcke" unterschieden nach:
- echten Ergänzungstatbeständen der ersten drei Nummern, da sie neue Tatbestände enthalten (s. § 3 Abs. 2 Nr. 1–3 ErbStG),
- Verlängerungstatbeständen der Nr. 4–6, die an Erwerbsvorgänge des § 3 Abs. 1 ErbStG anknüpfen und "entgeltliche" Erwerbsfälle von Todes wegen besteuern und
- dem Sondertatbestand des § 3 Abs. 2 Nr. 7 ErbStG, der auf einem Bereicherungsanspruch beruht.
Als besonders signifikant sticht bei der Mehrzahl der "Ergänzungsnormen" die Tatsache ins Auge, dass überwiegend Rechtsgeschäfte unter Lebenden der Auslöser für die normierten Hilfstatbestände sind. Die Tatbestände werden allein durch ihre Sachverhaltsnähe zu den Erwerbsvorgängen von Todes wegen gem. § 3 ErbStG gezählt.
Diese dogmatische Besonderheit findet sodann in einer weiteren wichtigen Rechtsfolge ihren Niederschlag. Obwohl sich der Zahlungsfluss unter Lebenden abspielt, erfolgt die Besteuerung in personeller Abhängigkeit (Steuerklassen!) des Bereicherten zum Erblasser.
11.1.1 Die Stiftungserrichtung sowie die Errichtung eines Trusts
Ausgewählter Literaturhinweis:
Piltz, Erbschaftsteuerliche Neuorientierung bei Familienstiftungen?, ZEV 2011, 236.
Rz. 441
Innerhalb des hoch personalistischen Erbschaftsteuerrechts stellt § 3 Abs. 2 Nr. 1 ErbStG – vergleichbar dem § 7 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG einen Fremdkörper dar. Die – eher seltene – Errichtung der "Körperschaft Stiftung" wurde hier in den Rang eines gesetzlichen Steuertatbestandes gehievt, obwohl die wesentlich häufiger vorkommende schenkungsteuerliche Problematik der GmbH-Gründung den Richtlinien vorbehalten ist.
11.1.2 Der Anwendungsbereich des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ErbStG
Rz. 442
Das ErbStG besteuert die Erstausstattung einer privatrechtlichen Stiftung nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ErbStG oder nach § 7 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG. Die Regelung betrifft jedoch ausschließlich rechtsfähige Stiftungen i. S. d. §§ 80ff. BGB, da ein Vermögensübergang kraft Erbschaft auf nichtrechtsfähige Stiftungen ausgeschlossen ist (s. Wälzholz in V/S/W, § 3 Rn. 214). Beruht die Übertragungen auf einer testamentarischen Verfügung, so liegt ein Erwerb von Todes wegen vor (s. § 1 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Bei einer Schenkung unter Lebenden ist § 1 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 7 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG einschlägig. Die Übertragung von Vermögen auf eine Stiftung unterliegt nicht der Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer, wenn die Stiftung nach den getroffenen Vereinbarungen über das Vermögen im Verhältnis zum Stifter nicht tatsächlich und rechtlich frei verfügen kann, wobei lediglich auf die zivilrechtliche Situation des Innenverhältnisses abzustellen ist (s. BFH vom 28.06.2007, BB 2007, 1830).
11.1.3 Der exemplarische Anwendungsfall
Rz. 443
Nachfolgendes Beispiel verdeutlicht das Gründungsstadium einer Stiftung.
Das Firmenimperium (Steuerwert: 15 Mio. EUR) des M soll nicht sang- und klanglos untergehen. Geplant ist eine inländische Stiftung, deren Erträge – wenn möglich – je zur Hälfte N1 und N2, seinen beiden Neffen sowie zur anderen Hälfte den Freunden F1–F10 zukommen. N1 und N2 sind in die Geschäftsführung eingebunden. Die Anordnung erfolgt aufgrund eines Testaments.
Alternative:
Es soll von Todes wegen eine gemeinnützige Stiftung gegründet werden (s. aber die Drittel-Regel von § 58 Nr. 5 AO).
Lösung:
Unterstellt, dass im obigen Beispiel der Steuerwert im Zeitpunkt des Todes von M sowie im Zeitpunkt der Anerkennung mit dem derzeitigen steuerlichen Wert identisch ist, beträgt die Bereicherung 15 Mio. EUR (Reinerwerb der Stiftung). Nachdem hier keine Befreiungen ersichtlich sind, stellt sich die Frage nach dem Steuersatz und der Steuerschuldnerschaft. Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 ErbStG ist die Stiftung bei einer Errichtung von Todes wegen alleinige Steuerschuldnerin.
Bei der Stkl. ist danach zu differenzieren, ob eine Familienstiftung (Ausgangssachverhalt) oder eine andere Stiftung (Variante) vorliegt. Bei einer Familienstiftung gilt § 15 Abs. 2 ErbStG, wonach sich die Stkl. nach dem "entferntest Berechtigten" richtet.
Im vorliegenden Fall der unternehmerischen M-Stiftung (paritätische Beteiligung) liegt bei einer adäquaten Bezugsberechtigung von Angehörigen und Nicht-Angehörigen deshalb eine Familienstiftung nur dann vor, wenn die Angehörige des Stifters und deren Abkömmlinge zu mehr als die Hälfte bezugs- oder anfallsberechtigt sind oder sie zu mehr als einem Viertel bezugs- oder anfallsberechtigt sind und zusätzliche Merkmale ein wesentliches Familieninteresse belegen (s. R E 1.2 Abs. 2 Satz 1 und 2 ErbStR). Insbesondere in Fällen, in denen die Familie wesentlichen Einfluss auf die Geschäftsführung der Stiftung hat, dient diese einem wesentlichen Familieninteresse (Satz 3 a. a. O.). Da N1 und N2 als Angehörige jedoch nur zu 50 % (und nicht > 50 %) bezugsberechtigt sind, müsste ihnen folglich über die Satzung (bzw. über den Vorstand) eine Mitverantwortung im Bereich der Geschäftsführung eingeräumt werden. Bei der Ermittlung der "entferntest Bezugsberechtigten" kommt es...