Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Preißer
Ausgewählte Literaturhinweise:
Jülicher, Zahlungen auf Pflichtteilsergänzungsansprüche und ihre unterschiedliche Berücksichtigung im Erbschaftsteuerrecht, ZEV 2001, 428;
Viskorf, Erbschaftsteuerliche Gestaltungen mit dem Pflichtteilsanspruch, JbFfSt 2001/2002, 555.
Ausgewählte Rechtsprechung:
BFH vom 07.10.1998, BStBl II 1999, 23;
BFH vom 10.07.2002, BStBl II 2002, 775.
11.4.1 Gemeinsamkeiten der drei Tatbestände
Rz. 460
Allen drei (mit der hier nicht weiter behandelten Alternative der Abfindung für den – überholten – Erbersatzanspruch: vier) Sachverhaltsalternativen sind zwei Aspekte gemein: der entgeltliche Erwerb von Todes wegen und die Erbschaftsteuer als Erbanfallsteuer.
Während der Grundfall des erbrechtlichen Erwerbsfalles von der Unentgeltlichkeit des Übertragungsvorganges gekennzeichnet ist, kommt es in dieser und in den folgenden Fallgruppen der Nr. 5–7 zu einem Paradigmenwechsel: d. h. einem entgeltlichen Erwerb von Todes wegen. Daher können nicht alle Wertungen der idealtypischen Grundtatbestände unbesehen übernommen werden.
11.4.2 Abfindung bei Ausschlagung
11.4.2.1 Erbrechtliche Vorfragen
Rz. 461
Nach § 1922 Abs. 1 BGB tritt der Erbe unmittelbar die Vermögensnachfolge des Erblassers an. Trotz des "Vonselbsterwerbs" im deutschen Erbrecht wird – etwa bei einem überschuldeten Nachlass – dem gesetzlichen wie dem gewillkürten Erben zugestanden, die Erbschaft auszuschlagen (s. §§ 1942ff. BGB). Insoweit besteht bis zum Ablauf der (grundsätzlich sechswöchigen) Ausschlagungsfrist nach deutschem Erbrecht ein Schwebezustand. Mit der Ausschlagung gilt der Erbanfall als nicht erfolgt und der Nächstberufene ist der gesetzliche Zwangserbe. Der Ausschlagende verwirkt auch sein Pflichtteilsrecht, von Ausnahmen (s. §§ 2305 f. BGB) abgesehen. Gerade im Hinblick auf eine steuerlich motivierte Ausschlagung ist noch hervorzuheben, dass die formbedürftige Ausschlagungserklärung nach § 1947 BGB bedingungsfeindlich konzipiert ist. Danach sind Ausschlagungen, die im bestgemeinten Sinne mit dem Vorschlag der Erbeinsetzung zu Gunsten anderer Personen – etwa des Ersatzerben – gekoppelt sind (Ausschlagung zu Gunsten Dritter), grundsätzlich unwirksam. Dies gilt nicht, soweit der Vorgeschlagene ohnehin der gesetzliche Ersatzerbe wäre (sog. unechte Rechtsbedingung). Die Grundvoraussetzung dieses Sachverhaltes liegt darin, dass der ursprüngliche Primärerwerb wegen der Rückwirkung der Ausschlagung (s. § 1953 BGB i. V. m. § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO) ausscheidet. Damit ist der "Boden für die Ersatzbesteuerung" bereitet.
Wegen des "Entgelt"-Charakters des Abfindungserwerbs kann der Abfindende das "Eintrittsgeld" in den erbrechtlichen Vermögensübergang als Nachlassverbindlichkeit (s. § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG) abziehen.
11.4.2.2 Steuerliche Motive und Auswirkungen für die Ausschlagung
Rz. 462
Zu den unterschiedlichen steuerlichen Gründen für die Ausschlagung s. Rn. 210 ff.
Das vorhandene Gestaltungspotenzial soll an nachfolgendem Beispiel erläutert werden.
M ist zunächst angenehm überrascht, als sie erfährt, dass sie von ihrem Onkel O aus Amerika das in Oggersheim befindliche Mehrfamilienhaus (Steuerwert 3 Mio. EUR) als Erbschaft erhält. Erste Erkundigungen ergeben jedoch, dass das Mehrfamilienhaus in Oggersheim ein Verdrussobjekt ist und sich dieser Aufgabe ihr einziger Sohn S, ein Immobilienfachwirt, besser annehmen könnte. S, der ohnehin alles erben wird, ist neben seiner Mutter der einzige Verwandte des Erblassers.
Ein einfacher steuerlicher Belastungsvergleich belegt die Notwendigkeit der Ausschlagung, gekoppelt mit der Erbeinsetzung des Sohnes (a)). Als Alternative wird die Annahme der Erbschaft, verbunden mit einer anschließenden Schenkung (b)), diskutiert.
Lösung:
a) Auch wenn der Erblasser O in Amerika wohnt und damit Steuerausländer ist, liegt in beiden Fällen (M wie S als Erbe) ein steuerbarer Erwerb nach § 1 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG vor, da jeweils ein Beteiligter des Erwerbsvorganges Inländer ist. Selbst wenn das MFH in Washington belegen wäre, begründet der Erbfall die Steuerpflicht von M bzw. S als unbeschränkt steuerpflichtige Erwerber.
In beiden Varianten ist von einem Steuerwert von 3 Mio. EUR auszugehen. In der ersten (Ausschlagungs-)Variante kommt eine Eingruppierung von S in Stkl. II nach § 15 ErbStG nicht in Betracht; keine der dort genannten Verwandtschaftsverhältnisse trifft auf S in seinem Verhältnis zu dem Onkel seiner Mutter zu. Der steuerpflichtige Erwerb des S von Todes wegen (Stkl. III) beläuft sich auf 2.969.700 EUR (3 Mio. EUR ./. 10.300 EUR Bestattungskostenpauschale und 20.000 EUR Freibetrag) und wird gem. § 19 Abs. 1 ErbStG mit 30 % besteuert; die Steuer beträgt 890.910 EUR.
b) Demgegenüber sieht die Gegenrechnung der Steuer für die zweite (Schenkungs-)Variante so aus: M befindet sich als Nichte des O in Stkl. II (s. § 15 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG); danach führt der Erbgang (O →M) zu einem steuerpflichtigen Erwerb von 2.969.700 EUR (3 Mio. EUR ./. 10.300 EUR ./. 20.000) und wird gem. § 19 ErbStG ebenfalls mit 30 % besteuert; Steuer darauf: 890.910 EUR).
Die nachfolgende Schenkung (M →S) führt gem. § 1 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG zu einem steuer...